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Politik: Eine epochale Weichenstellung (Kommentar)

Wenn zwei sich streiten - Sie kennen das. Die USA und China streiten seit langem und über vieles.

Wenn zwei sich streiten - Sie kennen das. Die USA und China streiten seit langem und über vieles. Und genau 13 Jahre ist es her, dass Peking bekundet hat, man wäre gern Mitglied des internationalen Handelsclubs, aus dem zwischenzeitlich die WTO geworden ist. Wenn in zwei Wochen in Seattle die nächte WTO-Runde losgeht, wird China bereits mit dabei sein.

China in der WTO - das ist ein Meilenstein. Die politischen Vertreter von 1,3 Milliarden Menschen haben sich mit weitreichenden, im Detail noch gar nicht abschätzbaren Folgen dazu bekannt, ein internationales Reglement anzuerkennen, das bis ins Detail ihr Handeln prägen wird. Bürokraten in Genf, am Sitz der WTO, werden nun mehr in China zu sagen haben, als jemals ein Ausländer im Reich der Mitte.

Beide Seiten haben hoch gepokert. Die Gewinner lassen sich leicht auflisten. Da ist zunächst Chinas Premier Zhu. Im April hatte er eine Fast-Einigung herausverhandelt. Sein Entgegenkommen übertölpelte Washington damals so sehr, dass Clinton lieber die Brüskierung Zhus riskierte, als dem unvorbereiteten Kongress einen Vertrag zu unterbreiten. Seither hat die Clinton-Regierung die vertane Chance bedauert. Zhu seinerseits zahlte einen hohen Preis: Er stellte sein Amt zur Verfügung und verlor innenpolitisch viel Kapital. Der Kosovo-Krieg und die bombardierte Botschaft verschlechterten die Stimmung weiter.

Dem Premier zur Seite steht nun Präsident Jiang, der Zhu bei der Stange hielt. Unter den Amerikanern ist es zuallererst Charlene Barshefsky, die Handelsbeauftragte, die sich nach sieben Tagen brutaler Non-Stop-Gespräche auf das Siegertreppchen stellen darf. Barshefsky hatte die volle Rückendeckung Clintons.

Also alles in Butter? Fast. Jene, die sich über den langen WTO-Streit freuten, schauen in die Röhre. Die Isolationisten und China-Hasser in den USA und die Staatsmonopolisten in China sind die großen Verlierer. Die Populisten aller Seiten werden Sturm laufen. Für chinesische Links-Patrioten ist dies ebenso ein Ausverkauf wie für die stramm Rechten unter Amerikas Republikanern. Zhu und Jiang, Barshefsky und Clinton: Sie werden die Einigung zu Hause verkaufen müssen. Leicht ist dies nicht.

Chinas Kombinate werden noch schneller dahinsiechen. Millionen unproduktive Jobs werden rascher verschwinden. Für China ist der Deal ein gewagter Sprung nach vorn. Und groß allemal. In den USA ist die Lobby, die nun am lautesten jubeln kann, jene der Agrarindustrie. Die hat enorme Bedeutung in einer heiklen Allianz. Ohne die Unterstützung der Landwirtschaft bräche in Washington die Freihandelsfront auseinander.

Clinton hat einen dicken Pflock eingerammt. Es geht um sein Erbe: China in der WTO, Frieden in Nahost - dies sind die ganz dicken Brocken. Einen kann der US-Präsident nun auf der Haben-Seite verbuchen. Jenes Maass an Einfluss, das der Westen mit Abrüstungsvereinbarungen und Helsinki-Körben auf die innere Entwicklung des Ostblocks zu nehmen versuchte, hat die WTO am Montag über China erhalten. Nun sind wir mitverantwortlich. Jetzt ist die Ungleichentwicklung innerhalb Chinas, wo der neue Mittelstand immer protziger prasst und der Graben zum rückständigen Hinterland immer tiefer wird, in ganz anderer Weise auch unser Problem. Europa hat aus dem 20. Jahrhundert die Lehre gezogen, dass Multilateralismus und das Delegieren nationalstaatlicher Macht an supranationale Einrichtungen stabilisierend wirkt. Dass sich China an der Schwelle zum 21. Jahrhundert demselben Denken verschreibt, ist ein gutes Zeichen, ein politischer Triumph - und ein enormer Vertrauensvorschuss.

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