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Politik: Eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung unterstützt mittlerweile den Rückzug der Truppen

Der Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak wird immer größer: Die Forderung nach einem sofortigen einseitigen Rückzug aus dem Südlibanon wird von einer rapide ansteigenden Anzahl von Politikern und von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Seit letzter Woche leidet Israel an einer Variante des Vietnam-Syndroms.

Der Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak wird immer größer: Die Forderung nach einem sofortigen einseitigen Rückzug aus dem Südlibanon wird von einer rapide ansteigenden Anzahl von Politikern und von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Seit letzter Woche leidet Israel an einer Variante des Vietnam-Syndroms. "Schuld" an dieser Entwicklung tragen die Medien, deren neue Art der Berichterstattung plötzlich den Israelis zu Hause klargemacht hat, dass die anhaltende Militärpräsenz in der so genannten "Sicherheitszone" im Libanon Leben und Moral der eigenen Soldaten gefährdet wie noch nie zuvor. Erstmals wurden blutende und schreiende Soldaten in Nahaufnahmen unmittelbar nach ihren schweren Verwundungen gezeigt, und erstmals sprachen deren Kameraden vor dem Einsatz in der Kriegszone offen von ihren Ängsten: "Keiner von uns will der letzte Tote im Südlibanon sein."

Ehud Barak ist als Regierungschef, Verteidigungsminister und ehemaliger Generalstabschef nicht bereit, die militärische Niederlage einzugestehen, welche die pro-iranischen Hisbollah-Kämpfer mit ihrer Guerilla-Taktik seiner glorreichen, siegessicheren und schwerfälligen Armee bereitet haben. Vor Parteigremien putzte er deshalb diejenigen herunter, die von ihm einen sofortigen einseitigen Rückzug fordern. Und er versprach, bis Juli die Truppen abzuziehen, auch wenn es ihm nicht gelingen sollte, einen solchen Abzug bis dahin in ein Abkommen mit Syrien einzubinden.

Barak ließ bei dieser Gelegenheit durchblicken, dass die umstrittene Truppenpräsenz in der "Sicherheitszone" längst nicht mehr dem ursprünglichen Zweck - dem Schutz der nordisraelischen Ortschaften - dient, sondern nur noch notwendig ist, um zu einem möglichst vorteilhaften Verhandlungsergebnis mit Syrien zu kommen.

Doch an einen solchen Abschluss glaubt wohl auch Barak nicht mehr so richtig. Vor allem aber glaubt ihm persönlich erstmals eine Bevölkerungsmehrheit nicht mehr: Nur noch 42 Prozent - gegenüber 50 Prozent vor drei Monaten - glauben laut einer Gallup-Umfrage Barak, dass er den Abzug wie versprochen bis Juli durchführen wird. Eine immer deutlichere Mehrheit, nämlich von 56 Prozent, spricht sich für einen sofortigen Rückzug aus, während die Anzahl derjenigen, die für Friedensverhandlungen mit Syrien eintreten, während der letzten Kampfwoche im Südlibanon überraschenderweise gar angestiegen ist: 72 Prozent wollen den Friedensprozess.

Für Barak bringt die anhaltende Truppenpräsenz im Südlibanon einen erheblichen Vorteil: Sie spaltet die Opposition und macht sie fast manövrierunfähig. Im Likud toben heftige Richtungskämpfe, in deren Verlauf sich jetzt ausgerechnet Parteichef Ariel Scharon, der 1982 als Verteidigungsminister den Libanonkrieg vom Zaun gebrochen hatte, für einen schnellen Abzug aussprach.

Doch der wahre Grund für Baraks Beharren auf einer Truppenpräsenz im Südlibanon liegt in der absoluten Priorität, die er dem Verhandlungsprozess mit Syrien gegenüber demjenigen mit den Palästinensern einräumt. Bevor Barak zu dieser Auffassung gelangt war, hatte ein prominenter Minister nach dem anderen ihn in persönlichen Gesprächen vergeblich zu einer Kursänderung zu bewegen versucht.

Warum Barak trotz der massiven Rückschläge der letzten Wochen, die zu einem vollständigen Verhandlungsstopp führten, auf "Syrien zuerst" besteht, kann nur vermutet werden: Es soll intensive Geheimgespräche zwischen Damaskus und Jerusalem geben, mit amerikanischer Vermittlung. Dagegen spricht die Tatsache, dass der amerikanische Chefvermittler Dennis Ross seine für diese Woche geplante Nahostmission abgesagt hat. Dafür spricht die Erklärung von Außenminister David Levy am Dienstagmorgen, wonach Syrien sich jetzt entschließen müsse, ob es sich auf den Weg des Friedens begeben wolle.

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