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Politik: Eine Stadt macht sich klein

Von Lorenz Maroldt Berlin hatte als Hauptstadt einen großen Moment. Das war, als Präsident Clinton im Juni 2000 die Stadt besuchte und, nach dem offiziellen Teil, mit Kanzler Schröder zum Szene- und Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg fuhr, um mitten im Leben zu Abend zu essen.

Von Lorenz Maroldt

Berlin hatte als Hauptstadt einen großen Moment. Das war, als Präsident Clinton im Juni 2000 die Stadt besuchte und, nach dem offiziellen Teil, mit Kanzler Schröder zum Szene- und Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg fuhr, um mitten im Leben zu Abend zu essen. Damals verwandelte sich das Besondere, das seit jeher schwer über der Stadt liegt, in eine wunderbar leichte Normalität, weder pathetisch noch prätentiös.

Wie anders ist es diesmal, wenn Bush kommt: Die Stadt präsentiert sich als Festung und stellt sich ein auf Protest und Krawall, zehntausend Polizisten sollen das Schlimmste verhindern. Dabei ist es längst eingetreten. Ziemlich egal, wie sich Schröder und Rau auch bemühen, egal, wie sich Wowereit in Szene zu setzen gedenkt: Es wird der Eindruck bleiben, dass dieser Gast, dieser Verbündete hier nicht willkommen ist, im Gegensatz zu charming Putin oder Freund Zemin.

Schuld daran ist die Lokalpolitik. Es gibt viele gute, vor allem historische Gründe für den Regierenden Bürgermeister Berlins, einem amerikanischen Präsidenten die Ehre seiner Anwesenheit zu erweisen. Es gibt auch einen sehr egoistischen Grund. Der Bürgermeister einer Pleitestadt mit zweifelhaftem Ruf, regiert von einer rot-roten Koalition, hätte alles daransetzen müssen, dabei sein zu können: um Vertrauen zu gewinnen und der Stadt ein Gesicht zu geben. Wenn dieser Regierende Bürgermeister dann auch noch das Glück hat, just zu der Zeit das protokollarisch dritthöchste Amt der Republik innezuhaben - um so besser.

Eine Reise vorzuziehen, wäre ein Affront - gegenüber dem Gast, gegenüber der Stadt. Man stelle sich doch mal die Bilder vor, die um die Welt gegangen wären: Das Zentrum eine Hochsicherheitszone, Bilder wie aus dem Bürgerkrieg, Krankenwagen, Verletzte, mittendrin PDS-Senatoren, Anti-Bush-Parolen auf den Lippen, ein Bürgermeister Gysi, der über CNN das Demonstrationsrecht seiner Kollegen verteidigt - und von Ferne grüßt, z.Z. verreist, Klaus Wowereit.

Jetzt bleibt er doch da. Aber den Eindruck, dies sei eine lästige Pflicht, kann er nicht mehr verwischen. In der Stunde der Peinlichkeit will Wowereit, wenn schon nicht Abwesenheit, dann wenigstens Stärke demonstrieren – und offenbart neue Schwäche: Er muss den PDS-Senatoren verbieten, gegen Bush zu demonstrieren. Doch die erklären, sie hätten Termine, derentwegen sie – „leider“– nicht auf die Straße könnten. Solche Grußbotschaften an die sozialistische Basis offenbaren, wie unvereinbar das Selbstverständnis der PDS-Senatoren mit den ihnen übertragenen Ämtern ist.

Das Demonstrationsrecht, das es ohne die Amerikaner in Deutschland so gar nicht gäbe, billigt den Bürgern eine Stimme gegenüber der Politik zu. Gewählte Politiker nehmen ihre Verantwortung im Parlament oder der Regierung wahr. Demonstrierende Politiker demonstrieren gegen sich selbst. Darüber können auch die dialektischen Verrenkungen im linken Lager nicht hinweghelfen: Die Grünen erklären, im Land Berlin regieren sie nicht, gegen Bush protestierten sie als Lokalpolitiker. Die Sozialisten erklären, im Bund regieren sie nicht, sie protestierten gegen den Staatsgast. Auf einmal wollen sie einfach nur Bürger sein. Wozu gehen sie dann in die Politik?

Berlin zeigt sich Bush gegenüber ablehnend, bestenfalls gleichgültig. Die Emphase wird für etwas anderes gebraucht: ein Recht zu verteidigen, das niemand in Frage stellt. Die klammheimliche bis offene Unterstützung der Anti-Bush-Konglomeration aus den Reihen der Berliner Koalition lässt befürchten, dass hinter dem Rücken der Recht-Habenden die Recht-Brechenden Bilder einer hässlichen Stadt in die Welt liefern werden. Den Amerikanern sind wir mal wieder ein Rätsel, zu Recht.

Die Menschen, die sich im Juni 2000 am Kollwitzplatz vor dem Restaurant in ihrer Nachbarschaft trafen, in dem plötzlich die Weltpolitik spielte, klatschten Bill Clinton zu – nicht etwa, weil sie auf einmal den Präsidenten liebten oder sein Land. Die Leute klatschten aus ehrlich empfundener, stolzer Gastfreundschaft. Es war ein gutes Gefühl – aber ein viel zu großes für die politische Klasse Berlins. Der rot-rote Senat ist jedenfalls sehr bemüht, die Stadt kleiner zu machen, als sie eigentlich ist. Für dieses Mal muss man wohl sagen: leider mit großem Erfolg.

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