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Politik: Eine Verfassung, acht Stimmen

Ein konservativer Richter muss das Urteil über Horst Köhler schreiben – aber parteipolitisch wird es nicht

Vieles wäre einfacher, wenn immer nur einer das Sagen hätte. Mit Kanzler, Parlament und Präsident treten nun gleich drei Verfassungsorgane für Neuwahlen ein, doch an einem vierten könnte alles scheitern: dem Bundesverfassungsgericht. Einige Kleinparteien haben ihre Klageschriften bereits am Freitag eingereicht, der grüne Abgeordnete Werner Schulz will Mitte nächster Woche folgen.

Unter Fachleuten sind die Erfolgsaussichten umstritten. „Horst Köhler hat klar verfassungswidrig entschieden“, sagte die Hamburger Politologin Christine Landfried am Freitag dem Tagesspiegel. Also müsse das Gericht gegen ihn urteilen. Der Würzburger Verfassungsrechtler und Vorsitzende der Deutschen Staatsrechtslehrervereinigung, Horst Dreier, sagte dem Tagesspiegel dagegen, es sei „schwer einzuschätzen“, wie das Gericht befinden werde. Im Falle der Vertrauensfrage von Helmut Kohl habe das Gericht eher restriktive Maßstäbe aufgestellt, diese aber großzügig angewendet. „Ich hoffe auf Zurückhaltung. Wenn drei Verfassungsorgane sich für Neuwahlen aussprechen, sollte das Gericht dies nicht ohne Not revidieren.“ Die Heidelberger Verfassungsexpertin Ute Mager glaubt dagegen, Karlsruhe werde das Votum Köhlers „ganz sicher durchgehen lassen“. Dass ein Kanzler im Parlament in der Vergangenheit Gesetze durchgebracht habe, sei kein Beleg dafür, dass er es auch in Zukunft könne.

Auch in Karlsruhe entscheidet nicht einer allein. Der zuständige Zweite Senat ist ein Gremium von acht Richterinnen und Richtern. Die Neuwahlen können nur scheitern, wenn fünf Senatsmitglieder sie stoppen. Ein Patt von vier zu vier reicht nicht. Obwohl also vor Gericht wie im Parlament die Mehrheit den Ausschlag gibt, steht ein Mann im Mittelpunkt des Interesses. Berichterstatter Udo Di Fabio wird das Urteil am Ende abfassen. Der 51-Jährige gilt als sendungsbewusster Wertkonservativer und ist von der Union in den Senat geschickt worden, ebenso wie seine Kollegen Rudolf Mellinghoff, Hans-Joachim Jentsch und Siegfried Broß. Die anderen vier, der Vorsitzende Winfried Hassemer, Lerke Osterloh, Gertrude Lübbe- Wolff und Michael Gerhardt, werden dem Regierungslager zugerechnet.

Di Fabio gilt im Gericht als einflussreich, aber wie überall, wo großer Einfluss ausgeübt wird, gibt es auch großen Widerstand. Häufiger spaltete sich der Senat, und die Richtervoten sortierten sich dabei auch entlang der parteipolitischen Linien, aber das muss nicht immer so sein. Im jüngsten Urteil zum EU-Haftbefehl stänkerte der eigenwillige Sozialkonservative Broß neben dem Europafreund Gerhardt gegen die Senatsmehrheit – freilich aus komplett verschiedenen Gründen. Verfassungsrichter pflegen keine Bundestreue zu ihren politischen Steigbügelhaltern, schon gar nicht mehr in den letzten Jahren. Sie nutzen die Unabhängigkeit, die ihnen das Amt gewährt, gegenüber der Politik und gegenüber dem Mehrheitswillen in der Bevölkerung. So war es etwa bei dem unpopulären Beschluss, das NPD-Verbotsverfahren zu stoppen.

Im Fall Kohl 1983 war noch gemutmaßt worden, ein klar konservativ dominiertes Gericht hätte der CDU den Weg zu neu legitimierter Macht ebnen wollen. Doch auch damals stimmte ein SPD-naher Richter wie Ernst Gottfried Mahrenholz für Kohl. Das Urteil in Sachen Schröder wird ebenso wenig parteipolitisch geprägt sein. Denn gesetzt den Fall, jemand wie Di Fabio wolle die Regierung Schröder in echte Schwierigkeiten bringen – sollte er die Neuwahlen dann besser passieren oder besser platzen lassen?

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