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In seiner Macht. Wenn er findet, dass jemand zu wenig zu Wort kommt, kann der Bundestagspräsident ihm mehr Redezeit zubilligen. Foto: Stephanie Pilick/dpa

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Politik: Einer mit Taktgefühl

Bundestagspräsident Norbert Lammert will das Grundgesetz nicht ändern Auch so könnten die Oppositionsrechte ausreichend wahrgenommen werden – zur Not mit seiner Hilfe.

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Ist eine große Koalition wegen ihrer Übermacht im Parlament grundsätzlich demokratieschädlich? Glaubt man so manchen Äußerungen aus der Linksfraktion oder von Abgeordneten der Grünen und blickt auf die nackte Zahl der Sitze, die einerseits Union und SPD und andererseits Linke und Grüne im Bundestag auf sich vereinen, so könnte man leicht den Eindruck gewinnen. Was sollen die beiden Kleinen schon ausrichten, wenn Merkel und Gabriel etwas durchsetzen wollen? Die Wähler werden im Zweifelsfall noch nicht einmal den Protest der Opposition hören können, weil deren Redezeit im Bundestag verschwindend kurz ist.

Glaubt man Norbert Lammert, dann ist alles nicht so tragisch. „Das Wahlergebnis ist so, wie es ist“, sagt der mit 95 Prozent wiedergewählte Bundestagspräsident. Man müsse wohl hier und dort die Regelungen etwas ändern. Aber zur Neuordnung der demokratischen Strukturen bestehe kein Anlass. Weil, wie Lammert erinnert, auch frühere große Koalitionen schwere Zeiten für die Opposition bedeuteten. Aber der Parlamentarismus dennoch überlebt hat.

Geht es nach dem Willen des Parlamentspräsidenten, dann wird das Grundgesetz also nicht zum Zwecke geändert, dass hinterher die Opposition im Bundestag mehr Rechte hat. Für Norbert Lammert liefe das nämlich „nur auf eine rechtstheoretische Grundsatzdebatte hinaus, die folgenlos bleibt“. Norbert Lammert will einen monatelangen Professorenstreit verhindern. Er will rasche Lösungen, damit die zahlenmäßig sehr große Koalition von Union und SPD im Bundestag die sehr kleine Opposition von Linken und Grünen nicht an die Wand spielen kann.

Wie Norbert Lammerts Lösung aussehen soll, das behält er natürlich noch für sich. Er will darüber mit den Fraktionsführungen sprechen, und zwar ohne, dass hinterher einer behaupten kann, er sei übergangen oder gar an die Wand gespielt worden. Lammert wurde, wie schon erwähnt, von fast 100 Prozent der Abgeordneten gewählt. Das schafft Vertrauen. Nun will er Kompromisslösungen finden, mit denen alle in den nächsten vier Jahren leben können.

Am Ende könnte auf ihn mehr Einfluss herausspringen. Denn im Prinzip gehe es bei den Minderheitenrechten um Regelungen, die „ureigene Vorgänge im Parlament“ beträfen, sagt Lammert. Weshalb die Minderheiten wohl in der Geschäftsordnung Rechte zugesprochen bekommen sollen, die ihnen die Verfassung allein noch nicht sichern kann. Und wer ist der Herr der Geschäftsordnung? Natürlich: Norbert Lammert.

Allein die Frage, wer in einer Bundestagsdebatte wann und wie lange reden darf, zeigt seinen Einfluss. Bei der Verteilung der Redezeiten müssen zwar die im Parlament vertretenen Mehrheitsverhältnisse abgebildet werden. „Aber der amtierende Präsident“, sagt Lammert über sich selbst, „hat das Recht, das Wort zu erteilen und es zu entziehen.“ Will sagen: Wenn Lammert findet, dass Linke und Grüne zu wenig zu Wort kommen, kann er ihnen mehr Redezeit zubilligen. Weil er als Parlamentsoberhaupt ja schließlich darauf achten muss, dass „das Prinzip von Rede und Gegenrede“ eingehalten wird, wie es in der Geschäftsordnung heißt.

Und dass ein Norbert Lammert dieses Recht auch selbstbewusst in Anspruch nehmen wird, daran kann es keinen Zweifel geben. Schließlich hat der CDU-Politiker ausgerechnet in der heftig umstrittenen Bundestagsdebatte um die Euro-Rettungsschirme zwei namhaften Abweichlern von Union und FDP (der Regierungskoalition also) das Rederecht erteilt, obwohl deren Fraktionen ihnen das Wort nicht zugebilligt hatten. Lammerts Begründung damals: Minderheitsmeinungen müssen gehört werden.

Die heftige Kritik an der Wahl und Bestellung von sechs und nicht mehr nur fünf Vizepräsidenten kann Lammert übrigens nicht ganz nachvollziehen. Er habe sich dabei zwar herausgehalten, sagt Lammert. Aber genug zu tun gebe es allemal für sechs Stellvertreter, weil möglicherweise auch noch eine Ausweitung der Parlamentsdebatten anstehe. Und viel mehr Geld koste so ein zusätzlicher Stellvertreter auch nicht. „Ein Assistent, zwei Vorzimmerkräfte, ein Fahrer“, winkt Lammert großzügig ab, das gebe das Bundestagsbudget ohne Weiteres her.

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