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Politik: Einer muss der Schuldige sein

… und die größten Chancen haben die Grünen: Vor neuen Zuwanderungsgesprächen suchen die Parteien nach Wegen und Auswegen

Von Robert Birnbaum

Mit der Suche nach dem Sündenbock kann man nie früh genug beginnen. Und so sind denn, bevor die Sünde überhaupt begangen wurde, im Zuwanderungsstreit bereits ganze Suchtrupps unterwegs. Auch wem gegebenenfalls die Schuld aufgeladen wird, wenn der letzte Versuch zur Einigung scheitern sollte, dürfte im Bundestag mehrheitsfähig sein: den Grünen nämlich. „Wenn die Beschlüsse des Grünen-Parteirats inhaltliche Position der Koalition sein sollten, sehe ich nicht, wie es bei der Zuwanderung noch zu einem Kompromiss kommen sollte“, gibt Saar-Regierungschef Peter Müller (CDU) am Montag zu Protokoll. Nicht weniger verstimmt ist der Koalitionspartner SPD. „Es kann nicht sein, dass eine Partei, die sieben oder acht Prozent auf sich vereint, bestimmt, wohin es bei der Zuwanderung geht“, zürnt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz.

SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter kündigt gar an, der Kanzler werde sich bei dem geplanten Sondierungsgespräch mit den Spitzen der Opposition nicht durch grüne Vorgaben beschränken lassen; es werde eine „offene Sondierung“ werden, sagt Benneter nach der SPD-Präsidiumssitzung in Berlin. Wobei der SPD-General dem Eindruck entgegenzuwirken sucht, dass im Koalitionslager schon wieder Zwist herrsche. Man habe sich mit den Grünen über dieses Verfahren ganz harmonisch verständigt. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer bestätigt das indirekt: Ob und welche Grünen mit zu der Sondierung kämen, müsse der Kanzler selbst entscheiden.

Tatsächlich hatte der grüne Länderrat der eigenen Parteiführung Zügel angelegt und verlangt, dass Zugeständnisse über die bisherigen Angebote hinaus ausgeschlossen seien. Freilich sind die Grünen auch nicht die Einzigen, die vor der Sondierung Bedingungen stellen. Wiefelspütz hat selbst schon eine rote Linie gezogen: Die von Schily erwogene und von der Union aufgegriffene Sicherungshaft werde nicht kommen, eine Datei für Personen, die Ausländer nach Deutschland einladen, solle es auch nicht geben. Am Montag legt die Union ihrerseits eine Bedingung vor, allerdings keine inhaltliche, sondern eine zum Verfahren. „Wir müssen wissen, was Rot-Grün als abgestimmte Haltung will“, sagt CDU-Chefin Angela Merkel. Erst wenn ein gemeinsamer Vorschlag von SPD und Grünen auf dem Tisch liege, könne die Union entscheiden, ob sie zum Treffen mit Gerhard Schröder kommt.

Das klingt plausibel, dahinter steckt allerdings auch wieder ein Stück Sündenbock-Abwehr. „Wir gehen doch nicht beim Kanzler zum Kaffee und lassen uns hinterher nachsagen, wir seien schuld, wenn es scheitert“, sagt ein CDU-Spitzenmann. Müller hatte in der Sitzung noch einmal seine vier Kernforderungen zum Thema Sicherheit und Terrorabwehr skizziert, darunter die erleichterte Abschiebung von Schleusern und „Hasspredigern“ und die Regelanfrage beim Verfassungsschutz schon für Niederlassungserlaubnisse. Merkel wollte sich aber nicht darauf einlassen, einen oder mehrere dieser Punkte zur Bedingung für ein Ja der Union zu erheben. Entscheidend sei insgesamt ein „Sicherheitsgewinn“. Im Klartext: Merkel will sich wie Schröder erkennbar ihren Spielraum für ein Spitzengespräch nicht von vornherein einengen lassen.

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