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Politik: Einfach, nicht simpel

Von Albrecht Meier

Lange genug hat sie geschwiegen. Und wenn Ségolène Royal, die Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten, in den vergangenen Wochen etwas sagte, dann lag sie oft gründlich daneben. Die Frau, die Frankreichs Präsidentin werden will, offenbarte Wissenslücken zur atomaren Bewaffnung der Grande Nation, mischte sich in die inneren Angelegenheiten Kanadas ein, fand andererseits aber keine klare Haltung zu den Ungerechtigkeiten in der chinesischen Justiz. Frankreichs launischen Wählern sind diese Schnitzer nicht verborgen geblieben.

Jetzt ist Ségolène Royal zum Gegenangriff übergegangen. Endlich hat sie das präsentiert, was bislang am meisten bei ihr vermisst worden war – ein Programm. Zwar ist es nicht so, dass Wähler immer brennend nach Programmatischem verlangen. Wenn Parteien über ihre Programme debattieren, kommt selten Spannung auf. In dieser Beziehung unterscheiden sich die Franzosen nicht von den Deutschen. Anders verhält es sich im Fall von Ségolène Royal, die selbst ihr eigenes Programm zu sein scheint: Frau, Offizierstochter, Regionalpräsidentin, Basisdemokratin. Nach den tausenden Debatten, mit denen sie in der ersten Phase des Wahlkampfes den Bedürfnissen ihrer Landsleute auf die Spur zu kommen suchte, stellen sich die Franzosen zu Recht immer dringender die Frage: Was will Ségolène Royal, die einerseits für die Sozialisten antritt, sich aber bewusst von der eigenen Partei absetzt?

Nachdem sie nun in einer Messehalle bei Paris einen Teil ihres Programms enthüllte, sind die Franzosen nicht viel klüger. Royals „Präsidentschaftspakt“ gleicht einem Gemischtwarenladen, in dem jeder bedient wird. Mit zahlreichen Versprechungen streichelt die Kandidatin die Seele ihrer Partei – etwa mit der Anhebung des Mindestlohns und dem Bau von Sozialwohnungen. Das bürgerliche Lager darf sich hingegen von ihrer Forderung nach harten Strafen für gewalttätige Jugendliche angesprochen fühlen. Und mit detaillierten Vorschlägen für einen besseren Schulunterricht beweist Royal immerhin, dass sie den Französinnen und Franzosen bei den basisdemokratischen Debatten der vergangenen Wochen und Monate genau zugehört hat.

Royals Programm mag auf den ersten Blick unorthodox wirken – gerade richtig für ein Land wie Frankreich, dessen politische Klasse seit Jahren wie erstarrt wirkt. Doch auf den zweiten Blick ist nicht zu übersehen, dass auch viel Inszenierung dabei ist. Ganz bewusst hat sie sich am Sonntag bei der Vorstellung ihrer Pläne in die Tradition ihres politischen Ziehvaters François Mitterrand gestellt. Mitterrand war vor über einem Vierteljahrhundert mit 110 Vorschlägen vor die Wähler getreten – und wurde anschließend Präsident.

Ségolène Royals Wahlkampf-Schnitzer haben die Kandidatin der Sozialisten in den Umfragen zurückgeworfen. Dennoch ist das Rennen mit Innenminister Nicolas Sarkozy keineswegs gelaufen. Royals stärkster Trumpf bleibt – den Unklarheiten in ihrem Programm zum Trotz – ihre Bürgernähe. Sarkozy, der am heutigen Montag in Berlin von Angela Merkel empfangen wird, hat von Royal gelernt. Inzwischen nimmt er für sich in Anspruch, der wahre Fürsprecher der Franzosen zu sein. Der Amtsbonus des Innenministers ist für ihn dabei kein Vorteil, denn die Pariser Polit-Elite gilt den Franzosen zunehmend als suspekt. Bis zur Entscheidung über das Präsidentenamt gilt: Es gewinnt, wer sich einfach gibt – aber nicht simpel ist.

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