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Politik: Einheitsfeiern: Der Stratege der Zwietracht (Leitartikel)

Vielleicht ist es am Ende sogar ein gutes Zeichen, wie verbissen über die allerjüngste deutsche Vergangenheit gestritten wird. Wenn sich so viele bedeutende Frauen und Männer nicht einigen können, wer von ihnen vor zehn Jahren welche wichtige Rolle im Ringen um die deutsche Einheit gespielt habe, dann muss das Ereignis selbst eine gute Sache sein.

Vielleicht ist es am Ende sogar ein gutes Zeichen, wie verbissen über die allerjüngste deutsche Vergangenheit gestritten wird. Wenn sich so viele bedeutende Frauen und Männer nicht einigen können, wer von ihnen vor zehn Jahren welche wichtige Rolle im Ringen um die deutsche Einheit gespielt habe, dann muss das Ereignis selbst eine gute Sache sein. Jedenfalls ist nicht erinnerlich, dass schon einmal ein Politiker darum gebuhlt habe, die Verantwortung für einen Misserfolg übernehmen zu dürfen. Angesichts jahrelanger Klagen über die nicht sichtbar blühenden Landschaften, über Undankbarkeit im Osten und Überheblichkeit im Westen, über gebrochene Biografien dort und skrupellose Glücksritter hier, ist das, ein Jahrzehnt nach dem 3. Oktober 1990, bei dem deutschen Hang zum Jammern keine schlechte Bilanz.

Die Einheit freilich, und wem sie zu verdanken sei, war nur das eine Thema der letzten Woche. Das andere überragende Ereignis war die augenfällige Versöhnung zwischen der CDU und Helmut Kohl zu den ausschließlichen Bedingungen des Altkanzlers. Es war die Unterwerfungsgeste der Union am Sonntag beim Festakt im Haus der Wirtschaft.

Die Themen sind miteinander verwoben. Helmut Kohl hat dafür gesorgt, dass in den eigenen Reihen niemand mehr von schwarzen Konten zu reden wagte. Er war vielleicht der einzige, der früh erkannte, dass letztlich die CDU vor ihm und nicht er vor der Partei zu Kreuze kriechen müsste. Der Bundespräsident, christdemokratischer Neigungen unverdächtig, sprach gestern in Dresden aus, warum das so ist. "Die Verdienste von Helmut Kohl um die Einheit können durch nichts geschmälert werden", sagte er. Durch nichts. Nicht einmal durch Helmut Kohl. Die Verdienste der Kanzler Brandt und Schmidt um die Einheit der Nation, die entscheidende Rolle der sozialliberalen Vertrags- und Ostpolitik und die des KSZE-Prozesses, hat Kohl am Sonntag dann endlich, sehr spät, doch noch gewürdigt: mit dem Eingeständnis der späten Einsicht seiner Partei in die damaligen Notwendigkeiten. Wie grausam Menschen in geteilten Ländern ohne rechtzeitigen Mut zur Annäherung leiden, erleben wir bis heute in Korea.

Kohl selber muss nicht das Urteil der Historiker über seinen Rang in der Geschichte abwarten. Die Bundesrepublik hatte 1989 mit ihm als Kanzler und seinem Außenminister Hans-Dietrich Genscher zwei international hochangesehene Politiker an der Spitze. Mit ihrer Glaubwürdigkeit haben sie den Einigungsprozess, wenn nicht gestaltet, so doch ohne jeden Zweifel positiv beeinflusst. Und man tritt Gerhard Schröder mit der Frage nicht zu nahe, ob es eine neue, international unerfahrene und in Europa weniger verankerte Bundesregierung 1989 nicht erheblich schwerer gehabt hätte, um Vertrauen in die deutsche Verlässlichkeit zu werben.

Das ist das eine. Das andere ist, wie der Altkanzler das Thema Einheit zur Disziplinierung der CDU einsetzt. Hätte Kurt Biedenkopf ihn als Redner nach Dresden eingeladen, um den Tag der Einheit zu feiern - Helmut Kohl hätte im Rahmen dieses Zeremoniells diplomatische Töne finden müssen. Stattdessen polemisierte in der CDU jeder, Friedrich Merz, Angela Merkel - und natürlich Kohl selbst. Mit jeder Rede wurden die Reihen fester geschlossen. Nun kann die CDU, wenn kein anderer die Wahrheit ans Licht bringt, das Thema "schwarze Konten" beenden: Keiner glaubt ihr doch mehr, dass sie wirklich noch etwas aufklären will. Und so ist Kohl mit diesem Tag der Einheit wieder mit der CDU vereint. Wer 2002 gegen Gerhard Schröder antritt, ist offen. Vielleicht - Helmut Kohl?

Gerd Appenzeller

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