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Einiges Russland: Parteitag der Superlative

Putins „Einiges Russland“ tagt in Moskau – und bietet eine Bühne für den Machtpoker um das Präsidentenamt.

Das hat es selbst zu Zeiten der Sowjetunion nicht gegeben: Parteitage mit mehr als 10 000 Teilnehmern. So viele Russen aus allen Landesteilen reisen zum zweitägigen Wahlspektakel von „Einiges Russland“, der Machtbasis von Russlands Premier Wladimir Putin, nach Moskau an. Auch die Kosten sind immens, auf 90 Millionen Rubel, gut zwei Millionen Euro, kam die Tageszeitung „Iswestija“, als sie die einzelnen Posten der Kalkulation für den Parteitag addierte. Das Blatt berief sich dabei auf den Cheforganisator diverser Parteitage der Kommunisten in der Sowjetära. Doch die hatten damals maximal 5000 Teilnehmer – so viel fasst der Kongresspalast im Kreml – zu beköstigen, unterzubringen und vom Hotel zum Tagungsort zu kutschieren. Die logistischen Herausforderungen vor die ihn „Einiges Russland“ nun im Ausstellungszentrum „Gostinny dwor“ stellt, sind ungleich größer.

Doch es geht auch um viel, um die Frage nämlich, wer der nächste Herrscher im Kreml sein wird. An diesem Samstag könnten bereits die Weichen für die Präsidentschaftswahlen in sechs Monaten gestellt werden. Die Frage lautet: Will Putin zurück in den Präsidentensessel oder kann Amtsinhaber Dmitri Medwedew seinen Platz behalten? Beide werden auf dem Parteitag reden. Die endgültige Entscheidung dürfte allerdings erst fallen, wenn feststeht, wie „Einiges Russland“ bei den Duma-Wahlen am 4. Dezember abgeschnitten hat. Bei einem schlechten Ergebnis dürfte Putin verzichten. Allerdings könnte er Medwedew, dem Putin schon im Sommer mangelnden Rückhalt bei den Business-Eliten attestierte, dann immer noch mit einem anderen Herausforderer konfrontieren. Denn Putins Gefolgschaft sieht durch die vorsichtige Reformpolitik Medwedews ihre Pfründe bedroht – in deren Loyalität jedoch sehen politische Beobachter die tragende Säule des straff zentralistisch organisierten Staatsmodells, das Putin Russland verpasste, kaum dass Boris Jelzin ihn im August 1999 zum Regierungschef und damit zum Nachfolger erhöhte.

Damals allerdings drohten Putins Visionen noch am Parlament zu scheitern, das von der oppositionellen KP dominiert war. Kurz nach den Dumawahlen im Dezember 1999 schlossen sich dann jedoch die Abgeordneten zweier kremlnaher, aber bislang konkurrierender Parteien in einer Fraktion zusammen, aus der zwei Jahre später „Einiges Russland“ hervorging. Bei den Wahlen 2003 erhielt die Partei bereits mehr als 37 Prozent und konnte ihre Machtbasis fortan durch den Fahnenwechsel von Karrieristen und Mobbing politischer Gegner stetig ausbauen – auf eine komfortable Zweidrittelmehrheit.

Putins persönliche Zustimmungsraten sind noch immer hoch, der Stern seiner Einheitsrussen beginnt jedoch zu sinken. Die Massen sehen sie nicht als Lösung für die Probleme des Landes – Beamtenwillkür, Korruption, wachsende Schere zwischen Arm und Reich – sondern als Interessenvertretung der Staatsdiener und damit als Teil des Problems.

Auch die „Volksfront“, die Putin auflegte, damit Prominente, die durch eine direkte Parteimitgliedschaft nicht diskreditiert sind, für ihn auf Stimmenfang gehen können, hielt den Popularitätsschwund nicht auf. Ohnehin politikverdrossen hat das Volk den Etikettenschwindel bemerkt und auch, dass ganze Verbände von Kulturschaffenden der Front durch deren Funktionäre kollektiv „beigetreten“ wurden. Das könnte nicht nur Putin, sondern auch den Künstlern noch auf die Füße fallen.

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