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Ein Gazprom-Mitarbeiter an einer russischen Pumpstation in der Nähe der Grenze zur Ukraine. Auch künftig soll Gas durch diese Leitung fließen.

© imago images/ITAR-TASS

Einigung in letzter Minute: Was der Gas-Vertrag zwischen Russland und der Ukraine bedeutet

Moskau und Kiew haben einen neuen Vertrag über den Gastransit geschlossen. Die Einigung kam auch durch deutsche Vermittlung zustande. Eine Analyse.

Die Einigung erfolgte in letzter Minute: Am Dienstag lief der bestehende Vertrag zwischen Russland und der Ukraine über den Transit von Erdgas nach Europa aus. Erst in der Nacht zuvor unterzeichneten die beteiligten Unternehmen nach langen Verhandlungen ein Abkommen über den künftigen Gastransit durch die Ukraine. „Das ist ein großartiger Tag für Europas Energiesicherheit“, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic.

Was passieren kann, wenn sich Moskau und Kiew in Fragen des Gastransits nicht einig sind, weiß man in Europa nur zu gut. Der vom russischen Staat gelenkte Energiekonzern Gazprom hatte in einem Konflikt mit der Ukraine zuletzt am 1. Januar 2009 den Gashahn abgedreht. Die Folgen bekamen die Menschen in mehreren Staaten Südosteuropas zu spüren. Doch nun konnte nach monatelangem Streit eine neue Zuspitzung des Konflikts verhindert werden.

Der neue Vertrag sieht vor, dass in diesem Jahr mindestens 65 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Ukraine geleitet werden und bis 2024 jeweils 40 Milliarden Kubikmeter. Im Vergleich zu den bisher genutzten Kapazitäten von 90 Milliarden Kubikmetern ist das ein deutlicher Rückgang. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird die Ukraine in den kommenden fünf Jahren mindestens sieben Milliarden Dollar aus diesem Vertrag erhalten. Der Kreml hob nach einem Telefonat des russischen Staatschefs Wladimir Putin mit Selenskyj den „konstruktiven Charakter“ der Gas-Verhandlungen hervor, „deren Verlauf eine günstige Atmosphäre für die Lösung anderer bilateraler Probleme schafft“.

Streit drehte sich auch um ausstehende Zahlungen

Eines der Haupthindernisse für eine Einigung waren ausstehende Zahlungen aus Moskau. Das internationale Schiedsgericht in Stockholm hatte Gazprom 2018 verpflichtet, dem ukrainischen Unternehmen Naftogaz Schadenersatz für nicht gelieferte Gasmengen aus dem bisherigen Vertrag zu zahlen. Doch erst in der vergangenen Woche überwies Gazprom 2,9 Milliarden Dollar nach Kiew. Allerdings verpflichtete sich die Ukraine nun dazu, alle weiteren rechtlichen Ansprüche fallenzulassen. Dabei handelt es sich um Forderungen in Höhe von etwa zwölf Milliarden Dollar.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Fortführung des Gastransits über die Ukraine „ein gutes und wichtiges Signal für die Gewährleistung unserer europäischen Gasversorgungssicherheit“. Neben der EU-Kommission hatten sich auch die Deutschen in den Verhandlungen als Vermittler betätigt. Bereits am 19. Dezember war in Berlin eine Grundsatzeinigung verkündet worden, obwohl zu dem Zeitpunkt wichtige Details des künftigen Vertrages noch nicht geklärt waren. An den Verhandlungen in Berlin waren Sefcovic, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und die Energieminister Russlands und der Ukraine beteiligt.

Außerdem hatte die Bundesregierung im September 2019 Georg Graf Waldersee als Sonderbeauftragten für den Gastransit benannt. Der frühere Chef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young suchte in Gesprächen mit den Beteiligten eine Lösung für den künftigen Gastransit. Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung habe „maßgeblich dazu beigetragen, dass sich beide Seiten aufeinander zubewegt haben“, betonte Merkel.  

Berlin wollte Kritik an Nord Stream 2 entkräften

Dass sich Deutschland als Vermittler engagierte, hat einen besonderen Grund: In der Ukraine und auch in mehreren EU-Staaten wird seit längerer Zeit befürchtet, dass Russland nach der Fertigstellung der neuen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 den Gastransit durch die Ukraine stoppen könnte. Nord Stream 2 soll pro Jahr bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas direkt von Russland nach Deutschland liefern. Angesichts der massiven Kritik an Nord Stream 2 hatte Merkel betont, ohne Klarheit über den künftigen Gastransit durch die Ukraine sei das Projekt nicht möglich.

Die Bundesregierung sagte der Ukraine zu, sich für eine Fortführung des Transit-Vertrags einzusetzen. Zugleich wollte sie damit den Kritikern des Projekts entgegentreten. Allerdings konnte auch die am 19. Dezember in Berlin demonstrativ verkündete Grundsatzeinigung die von den USA wenig später offiziell verhängten Sanktionen gegen Nord Stream 2 nicht mehr stoppen.

Nachdem die Verlegung der Rohre in der Ostsee wegen der US-Sanktionen gestoppt werden musste, verzögert sich die Inbetriebnahme der neuen Leitung voraussichtlich bis Ende 2020. Diese Verzögerung hat offenbar die Einigung über den weiteren Gastransit durch die Ukraine begünstigt. Schließlich ist Gazprom nun mindestens bis zum Jahresende auf diesen Transportweg angewiesen.  

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