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Einkommen: Ein Lohn reicht nicht für die Familie

Eine Studie belegt: Die Zahl der Beschäftigten, die zusätzlich zu ihrem Einkommen noch Hartz IV benötigen, steigt. Auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes würde diesen Zustand nicht beenden.

Von Antje Sirleschtov

Die Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland, die zusätzlich zu ihrem Einkommen Hartz-IV-Leistungen beziehen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das geht aus einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Im Januar 2007 gab es danach rund 1,3 Millionen sogenannte Aufstocker. Zwei Jahre zuvor waren es noch 880 000 im Jahresdurchschnitt.

Etwa die Hälfte der Betroffenen – rund 675 000 – gehen einem sozialversicherungspflichtigen Voll- oder Teilzeitjob nach, rund 603 000 sind geringfügig beschäftigt oder arbeitslos und verdienen sich etwas dazu. Außerdem gehören 56 000 Selbstständige zu den Hartz-IV-Empfängern.

Im Grundsatz gilt, dass jedem Arbeitnehmer in Deutschland eine solche Aufstockung seines Einkommens zusteht, wenn er aus eigener Kraft den Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht verdienen kann. Zu diesem Lebensunterhalt gehören nicht nur der eigene Spezialleistungsanspruch von 347 Euro plus Wohnkosten, sondern auch die dem Partner und den Kindern zustehenden Leistungen. Zusätzlich dazu sind bestimmte Teile des Einkommens von der Anrechnung befreit. Wer aufstockende Sozialleistungen beziehen will, muss dies bei den Jobcentern der Arbeitsagenturen beantragen. Wegen des bürokratischen Aufwandes und auch wegen der restriktiven Handhabung der Vermögensverhältnisse der Antragsteller gehen Experten davon aus, dass es weit mehr als die 1,3 Millionen registrierten Aufstocker gibt.

Naturgemäß sind es vor allem Paare und Familien, die solche zusätzlichen Hartz-IV-Leistungen beziehen – und zwar über einen längeren Zeitraum. Die IAB-Forscher fanden unter den 400 000 vollzeitbeschäftigten Aufstockern rund 127 000, die das Geld länger als neun Monate erhielten, weil ihr Verdienst zwar für sie selbst, jedoch nicht für Partner und Kinder ausreichte. Die Erkenntnis der Forscher: Wer allein lebt, braucht die zusätzlichen Hilfen meist nur für wenige Monate. „Dies zeigt die Notwendigkeit einer Abstimmung mit familienpolitischen Transfers wie Wohn- und Kindergeld“, schreiben die IAB-Forscher in ihrem Bericht. Sie weisen damit auf Überlegungen des ehemaligen SPD-Arbeitsministers Franz Müntefering hin, der einen Kinder- und Familienzuschlag für Geringverdiener einrichten wollte. Prinzipiell wäre dieser Zuschlag nichts anderes als ein Hartz-IV-Zuschlag. Die Betroffenen müssten jedoch, um das Geld zu erhalten, nicht mehr die mühseligen Prüfungsprozeduren der Jobcenter für Hartz-IV-Empfänger ohne Arbeit durchlaufen.

Das Aufstocker-Thema ist offenbar keines, das zeitlich begrenzt ist und bald vorüber geht. Denn mit zunehmender Flexibilisierung des Arbeitsmarktes – insbesondere im Dienstleistungsbereich – wird die Zahl der Menschen mit niedriger Qualifikation anwachsen, die sich und ihre Familien mit kurzfristigen und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen ernähren. Und genau diese Beschäftigungsgruppen sind es, die nach Angaben der Nürnberger Forscher am längsten in der Situation des Nebeneinanders von Einkommen und Sozialleistungen verbleiben.

Dass auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes für alle Branchen diesen Zustand nicht beenden wird, beweist der Umstand, dass rund 6 Prozent der vollzeitbeschäftigten Aufstocker und sogar 13 Prozent der Teilzeit-Aufstocker im Jahr 2005 Bauarbeiter waren. Und das, obwohl es in diesem Gewerbe seit nunmehr gut 10 Jahren einen Branchenmindestlohn gibt.

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