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Einmal Entfremdung und wieder zurück? : Mit Benjamin Netanjahu verbindet Friedrich Merz eine mehr als komplizierte Beziehung
Ein erstes politisches Date ist des Kanzlers Antrittsbesuch bei Israels Premier an diesem Sonntag wahrlich nicht. Vielmehr muss das vertrackte Verhältnis wieder repariert werden.
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Er hat sich das alles viel einfacher vorgestellt bei seinem Amtsantritt im Mai – auch mit Benjamin Netanjahu. Bei gleich zwei Treffen in Israel hatte der Oppositionsführer Friedrich Merz die Grundlage für ein gutes Verhältnis in seiner Kanzlerschaft gelegt. Er hielt seine Beziehung zum Premier für so stabil und ihn für so verlässlich, dass er ihm eine Einladung nach Deutschland ermöglichen wollte – internationaler Haftbefehl hin oder her.
Seither ist viel passiert. Merz spricht über eine Visite Netanjahus in der Bundesrepublik derzeit nur noch als theoretische Möglichkeit, mit der man sich dann befassen werde, wenn es soweit sei. Erst einmal reist Merz als nicht mehr ganz neuer deutscher Regierungschef zu einem eher späten Antrittsbesuch, da die deutsch-israelischen Beziehungen ausgerechnet unter der Ägide des CDU-Vorsitzenden gelitten haben.
Der Entfremdungsprozess, der sich innerhalb weniger Monate zwischen den beiden Staatslenkern abgespielt hat, lässt sich an verschiedenen Zitaten festmachen. Mitte Juni, als das israelische Militär die iranischen Atomanlagen bombardierte, sprach Merz davon, dass Israel damit die „Drecksarbeit“ für andere mache – eine Art der verbalen Solidarität, die Netanjahu ihm bis heute hoch anrechnet.
Eine stetige verbale Eskalation
Parallel aber war das Vorgehen seiner gegen die Hamas kämpfenden Armee im Gazastreifen auch nach Ansicht von Merz unverhältnismäßig geworden. Was im ersten Kanzlertelefonat mit Netanjahu kurz nach Amtsantritt nur „Besorgnis“ über die humanitäre Not war, klang Ende Juli angesichts ausgesperrter Hilfskonvois schon viel schärfer. „Der Kanzler brachte seine große Sorge zur katastrophalen humanitären Lage in Gaza zum Ausdruck“, sagte sein Sprecher Stefan Kornelius nach einem weiteren Gespräch: „Er forderte Premierminister Netanjahu auf, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um umgehend einen Waffenstillstand zu erreichen.“
Mehr oder weniger „wöchentlich“ sprach Merz zu dieser Zeit mit Netanjahu, wie er der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Es soll dabei, wie zu hören ist, immer wieder laut geworden sein.
Was Merz Netanjahu sagte, ging dem zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Der Kanzler war sehr frustriert darüber.
Aus Regierungskreisen über die Telefonate der beiden
Die persönliche wie diplomatische Eskalation ließ danach nicht lang auf sich warten. „Was Merz Netanjahu sagte, ging dem zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“, heißt es aus Regierungskreisen: „Der Kanzler war sehr frustriert darüber.“ Regelrecht veräppelt fühlte sich Merz, als direkt nach einem Besuch seines Außenministers Johann Wadephul entgegen aller Zusagen die Ausweitung des Krieges beschlossen wurde.
Die folgenden Sanktionen überraschten die Schwesterpartei CSU, die Junge Union und auch Benjamin Netanjahu trotzdem. War Merz nicht derjenige, der öffentlich emotional wurde, wenn er über Deutschlands historische Schuld und die daraus erwachsende Verantwortung für jüdisches Leben in der Zukunft spricht? Aber eben dieser Merz verbot Waffenlieferungen, die im Gazakrieg zum Einsatz kommen könnten, und verdammte Israels Militärstrategie dort in Bausch und Bogen: „Das in der vergangenen Nacht vom israelischen Kabinett beschlossene, noch härtere militärische Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen lässt aus Sicht der Bundesregierung immer weniger erkennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen.“
Netanjahu warf Merz Belohnung der Hamas vor
Dessen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte seinerseits mit harten öffentlichen Vorwürfen. Nach einem weiteren Telefonat mit dem Deutschen berichtete sein Büro von Netanjahus „Enttäuschung“ über das Vorgehen des Mannes, den er an seiner Seite wähnte: „Anstatt den gerechten Krieg Israels gegen die Hamas zu unterstützen, die den schrecklichsten Angriff auf das jüdische Volk seit dem Holocaust verübt hat, belohnt Deutschland den Terrorismus der Hamas durch ein Waffenembargo für Israel.“
Dieser Beziehungstiefpunkt liegt nun vier Monate zurück, nach der von den USA, Saudi-Arabien, Katar und der Türkei vermittelten Waffenruhe hob Merz’ Regierung das Waffenembargo Mitte November wieder auf. Das führte vor einigen Tagen zu einem erneuten Telefonat, das in deutlich positiverer Atmosphäre stattfand. Gefeiert wurde in diesen Tagen auch die vorläufige Inbetriebnahme des aus Israel an die Bundeswehr gelieferten Raketenabwehrsystems vom Typ Arrow.
Mit den passenden politischen Botschaften beim Antrittsbesuch – etwa der Bereitschaft, beim Wiederaufbau Gazas zu helfen, oder der Versicherung, sich dem Antisemitismus in Deutschland entgegenzustellen – will Friedrich Merz nun das vertrackte Verhältnis mit Benjamin Netanjahu wieder ein Stück weit gerade rücken.
Sein Parteifreund Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hofft auf mehr, nämlich die systematische Verbesserung jenseits der persönlich-politischen Beziehungen. Aus seiner Sicht muss Merz bei Netanjahu um Verständnis für die Zweistaatenlösung als einzig denkbare langfristige Friedensoption werben. Und er sollte bei seiner Rückkehr innenpolitisch mehr tun: „Wir müssen Israel auch wieder in die Herzen und Köpfe der Bevölkerung bringen – die Zukunftsfreude, die Innovationslust, der Pluralismus, wofür Israel steht.“
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