zum Hauptinhalt

Politik: Einspruch!

Die türkische Menschenrechtlerin Eren Keskin rechnet mit einem langwierigen Berufungsverfahren

Nach ihrer Verurteilung wegen angeblicher Beleidigung der Armee rechnet die türkische Menschenrechtlerin Eren Keskin mit einem langwierigen Berufungsverfahren. Sie werde zwar schon am Montag beim Berufungsgerichtshof in Ankara ihren Einspruch einlegen, sagte Keskin am Samstag dem Tagesspiegel in Istanbul. Erst in zwei bis drei Wochen werde sie jedoch die schriftliche Urteilsbegründung erhalten, auf der sie dann ihre eigene Verteidigungsschrift aufbauen werde. Der eigentliche Berufungsprozess werde dann voraussichtlich sechs bis sieben Monate dauern. Vorerst bleibt Keskin auf freiem Fuß. Ob die türkische Regierung bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens den berüchtigten Paragrafen 301 liberalisiert haben werde, sei völlig offen, sagte sie.

Keskin hatte im Juni 2006 im Tagesspiegel gesagt, die Armee in der Türkei verfüge über zu viel politischen Einfluss. Daraufhin wurde sie auf Initiative des Generalstabs vor Gericht gestellt und nach Paragraf 301 zu sechs Monaten und 20 Tagen Haft verurteilt; das Gesetz verbietet die Beleidigung des „Türkentums“ sowie staatlicher Institutionen. Der Anwältin Keskin droht wegen des Interviews auch ein Berufsverbot.

In der nur 15-minütigen Gerichtsverhandlung am Donnerstag sagte der Richter am Amtsgericht des Istanbuler Stadtteils Kartal nichts darüber, welcher Teil des Interviews für die Bestrafung ausschlaggebend war. In dem Interview hatte Keskin kritisiert, die Armee gaukele den Türken lediglich vor, dass es eine islamistische Gefahr gebe und dass wegen der Kurdenfrage eine Teilung des Landes drohe. Weiter wies sie auf wirtschaftliche Interessen der Armee hin und sagte, der Anschlag auf das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei im Mai 2006, bei dem ein Richter starb, sei auf das Konto des sogenannten „dunklen Staates“ gegangen. Diese Organisation unterstehe der Armee.

Vor dem Richter sagte Keskin, inzwischen habe sich herausgestellt, dass sie mit ihrer Äußerung zu dem Anschlag auf das Gericht richtiggelegen habe. Sie verwies auf ein kürzlich aufgetauchtes Foto, das den Ex-General Veli Kücük zusammen mit dem mittlerweile verurteilten Todesschützen des Anschlags auf das Gericht zeigte.

Kücük sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, eine nationalistische Terrorgruppe mit Namen „Ergenekon“ angeführt zu haben; laut Staatsanwaltschaft plante „Ergenekon“ eine Reihe von Terroranschlägen, um einen Militärputsch gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu provozieren. Die Gruppe soll unter anderem einen Mordanschlag auf Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk vorbereitet haben. Der durch seine Strafanzeige gegen Pamuk bekannt gewordene Anwalt Kemal Kerincsiz sitzt ebenfalls als mutmaßliches „Ergenekon“-Mitglied in U-Haft.

Im Zuge der Ermittlungen gegen die Gruppe nahm die türkische Polizei am Karfreitag mehrere prominente Nationalisten und Regierungsgegner fest, darunter den Chef der Splitterpartei IP, Dogu Perincek, und den Chefkolumnisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Ilhan Selcuk. Gegner Erdogans werfen der Regierung nun vor, die Festnahmen seien eine Racheaktion für das kürzlich eingeleitete Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP gewesen. Die Kritik bezog sich insbesondere auf die Festnahme des als unversöhnlicher Erdogan-Gegner bekannten 83-jährigen Journalisten Selcuk.

Eren Keskin erfährt indes weitere Unterstützung aus Deutschland. „Ihre Verurteilung ist ein Affront gegen die Demokratie in der Türkei“, sagte die in Berlin lebende Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates dem Tagesspiegel. Sie kenne die kurdische Anwältin persönlich und könne bestätigen, dass sie eine integre Person sei, die sich immer für die Rechte der Minderheiten in der Türkei starkgemacht habe. „Aus Angst vor politischen Repressalien traut sich das in dem Land kaum noch jemand zu“, sagte Ates. Mitarbeit: Suzan Gülfirat

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false