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Lazar Comanescu ist seit 2009 Rumäniens Botschafter in Berlin. Er war zuvor Außenminister seines Landes und führte die Beitrittsverhandlungen Rumäniens mit der Europäischen Union.

© Thilo Rückeis

Einwanderung aus Rumänien: „Es kommen mehr Akademiker“

Rumäniens Botschafter nennt die Debatte um angebliche Armutseinwanderung aus seinem Land populistisch. Die Zahlen stiegen, weil Deutschland Fachleute umwerbe - und für Akademiker inzwischen seinen Arbeitsmarkt geöffnet hat.

Der Innenminister Rumäniens wird heute in einer großen deutschen Zeitung mit den Worten zitiert, Schengen sei kein vorrangiges Ziel mehr. Deutschland, das ein Veto gegen den Beitritt Ihres Landes angekündigt hat, hätte „besser den Mund gehalten“. Hätte das ein Diplomat wie Sie auch so gesagt?

Ich mache mir weder Äußerungen von rumänischer noch von deutscher Seite zu eigen. Eines ist aber klar: Schengen bleibt eines unserer wichtigsten Ziele. Und wir haben alles dafür getan, was notwendig war, das hat Brüssel auch anerkannt. Es gibt aber noch Felder, auf denen wir nacharbeiten müssen.

Der Bundesinnenminister nannte kürzlich die Korruptionsbekämpfung. Er fürchtet, dass Schengen-Visa käuflich würden.

Korruption ist eines der Felder. Ich frage mich allerdings, warum diese Negativberichte gerade jetzt in Deutschland erscheinen. Deutsche Gesprächspartner sagten mir, ich müsse verstehen, dass es eine Furcht vor der völligen Freizügigkeit von Rumänen und Bulgaren 2014 gibt und dass 2013 ein Wahljahr ist. Ich will das nicht kommentieren. Überlegen Sie selbst.

Über die Korruption in Rumänien klagt allerdings nicht allein Deutschland, das steht im Fortschrittsbericht der EU.
In diesem Bericht steht aber auch, dass Rumänien schon große Fortschritte gemacht hat. In der Liste der Antikorruptionsorganisation Transparency International von November haben wir uns im letzten Jahr um neun Plätze verbessert – hinter uns liegen auch EU-Gründungsstaaten. Rumänien ist nicht das korrupteste Land der EU. Das heißt keineswegs, dass wir nicht noch zu tun haben. Sie wissen, dass es etliche verurteilte Abgeordnete gibt, Bürgermeister. Auch ein Ex-Premier und Ex-Minister gehören dazu. Aber die Institutionen, die damit beschäftigt sind, machen ihren Job. Und es macht mich traurig zu sehen, wie diese Themen populistisch ausgeschlachtet werden.

Sie meinen das aktuelle Thema „Armutseinwanderung“ aus Rumänien und Bulgarien? Da haben Statistiker und Medien die Zahlen inzwischen relativiert: Der weit überwiegende Teil der Rumänen und Bulgaren hier hat Arbeit und ein großer Teil von ihnen sind Arbeitspendler, die wieder zurückkehren.

Ich habe heute einen Bericht der Bundesagentur für Arbeit bekommen. Demnach gibt es zirka 6,05 Millionen Leistungsberechtigte nach Sozialgesetzbuch II. Davon sind ganze 13961 Rumänen, also 0,23 Prozent. Da darf ich mich doch fragen, ob von diesen 0,23 Prozent eine Gefahr für den deutschen Sozialstaat ausgeht. Dass die Zahl der rumänischen Staatsbürger seit 2012, wie es heißt, alarmierend steigt, hat doch vor allem mit der Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für Akademiker im letzten Jahr zu tun!

Dass allerdings vor allem Roma aus Diskriminierung und bedrückenden Verhältnissen fliehen, ist in jedem Amnesty-Bericht nachzulesen. Roma-Organisationen hier berichten, dass Zwangsräumungen ihrer Siedlungen Alltag sind.

Das sind einzelne Fälle auf kommunaler Ebene.

Auch auf kommunaler Ebene verwirklichen sich Menschenrechte, und Staaten werden zu Recht dafür haftbar gemacht.

Ich bin mir bewusst, dass wir noch zusätzliche Anstrengungen brauchen, um die Lage zu verbessern. Vor allem muss sich die Einstellung der Leute ändern, der Mehrheit wie der Minderheit. Aber auch was öffentliche Mittel angeht, ist schon viel geschehen: Im letzten Jahr stieg die Zahl der Roma-Kinder an Schulen auf 200 000, es gibt Quoten für Gymnasien und Universitäten. Etwa 10 Prozent des Bildungsetats gehen in die Roma-Förderung, obwohl sie etwa sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wir müssen da weiter unsere Hausaufgaben machen. Die Roma sind aber auch eine europäische Minderheit, da könnte es mehr europäische Solidarität geben.

Sie meinen, auch aus Deutschland?
An der aktuellen Debatte in Deutschland macht mich vor allem traurig, wie über die Freiheit europäischer Bürger geredet wird. Auch Rumänen und Bulgaren sind Bürger Europas. Und Freizügigkeit ist ein Grundprinzip der Europäischen Union, ihr wichtigstes Kapital. Ohne das wäre sie gar nicht denkbar. Leider wird das nicht von allen gesehen und populistisch mit der Schengen-Debatte vermischt.

Wird Rumänien diese Woche in Brüssel also nicht auf Beitritt zum Schengen-Raum bestehen?

Wir hofften auf einen raschen Beschluss weil, wie bereits erwähnt, Rumänien die Erfüllung der spezifischen Schengen-Kriterien bescheinigt wurde. Ich bin mir aber bewusst, dass es einige gibt, auch hier in Deutschland, die diese Meinung nicht teilen. Ich bin aber zuversichtlich, dass am Ende des Jahres der Beschluss kommen kann.

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