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Das neue Schwarz-Rot-Gold: Teilnehmerinnen des Bundeskongresses am Wochenende in Berlin

© Mosjkan Ehrari

Einwanderungsland: Die "Neuen Deutschen" organisieren sich

Sie denken nicht mehr in Kategorien wie Herkunft und Hautfarbe. Und wollen, dass ihr Land das auch nicht mehr tut. Die "Neuen deutschen Organisationen" trafen sich zum ersten Bundeskongress.

Er kam als Flüchtling aus Laos nach Deutschland. Van Bo Le-Mentzel hatte jahrelang das Gefühl, anderen etwas wegzunehmen: sein BAföG, den Studienplatz in Architektur, sogar den Platz in der S-Bahn. Und versuchte zurückzuzahlen. „Irgendwann dachte ich: Schluss mit dem Payback! Das ist meine Straße, ich bin hier in meinem Land.“
Le-Mentzel ist einer derer, die die Statistik als Migranten erfasst, die sich selbst aber als neue Deutsche sehen. Deutsche, die wegen ihrer dunkleren Hautfarbe, Mandelaugen und exotischeren Familiennamen als Müller, Meier oder Schmidt aber doch etwas mehr sind als nur deutsch – und die sich in den letzten Jahren organisieren, etwa wie Le-Mentzel bei „Deutsch plus - für eine plurale Republik“.

"Das deutsche Volk des 21. Jahrhunderts"

An diesem Wochenende haben sie sich erstmals in Berlin getroffen, mehr als 80 Vereine und Initiativen aus ganz Deutschland, die daran arbeiten, dass Leute wie sie nicht mehr als Bürger mit Defizit wahrgenommen werden, sondern als „das deutsche Volk des 21. Jahrhunderts“, wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz sie in ihrer Begrüßungsrede nannte. Und dass sie gehört werden. Auch für Ferda Ataman von den „Neuen Deutschen Medienmachern“, die zu diesem ersten Kongress einluden, war es „ein Aha-Effekt, wie viele es von uns gibt“. Viele brachte der „Sarrazin-Schock“, das Bestreiten dieser Wirklichkeit vor vier Jahren, dazu, sich zu organisieren. Dominik Wullers gründete damals mit anderen Bundeswehrsoldaten „Deutscher Soldat“: „Viele von uns sind in Afghanistan. Wir bluten für dieses Land. Wer, wenn nicht wir, sind das Volk?“ fragt Wullers, der es schwer erträglich findet, diesen Satz in Pegida-Aufzügen zu hören und „meine Flagge“ dort zu sehen.

Die konsenssüchtige Gesellschaft

Die neuen Deutschen wollen, dass Wahrnehmung und Wirklichkeit zueinander kommen. Schließlich liegt der Anteil der „Plus-Deutschen“ mit Pass oder ohne bereits ein bisschen über einem Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik, bei den Jungen deutlich darüber. Die Wünsche der Neuen findet Kenan Kolat, der langjährige Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, gar nicht so anders als die der klassischen Migrantenvereinigungen. Sie selbst dächten nicht mehr ethnisch, aber ihre Diskriminierung bleibe, ebenso wie ihr Wunsch nach Teilhabe. Im Workshop, in dem Kolat seine Erfahrungen aus dreißig Jahren weitergibt, rät er, nicht nachzugeben. „Nur so wird man ernst genommen“. Und gehört - schon deshalb, weil die deutsche Gesellschaft "konsenssüchtig" sei.

Was heißt hier "neu"?

Auch über den Begriff der „Neuen Deutschen“ wird diskutiert. Schwarze wie ihn gebe es in Deutschland mindestens seit dem 18. Jahrhundert, wendet Daniel Gyamerah vom „Netzwerk Inclusion Leaders“ ein. „Ich bin nicht neu, ich war schon immer deutsch“, sagt Aylin Yavas, die in Berlin für den Mediendienst Integration arbeitet. Und dann: Schafft das nicht wieder jene Teilung in „wir“ und „ihr“, die man loswerden will? Vielleicht dreht sie sie einfach ironisch: Beim Namen „Deutscher Soldat“, erklärt Gründer Wullers, ging es genau um diese Prise Provokation.

Das etablierte - alte? - Deutschland könnte die Chance der Provokation erkennen, um auf dem Weg vom Einwanderungsland zur „Einwanderungsgesellschaft“ (Özoguz) weiterzukommen. Diesen ersten Bundeskongress der „Neuen deutschen Organisationen“ hat neben Özoguz und der Stiftung Mercator die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt; das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will das geplante Folgetreffen nun nach Nürnberg holen.

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