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Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin. Sie war unter anderem Chefredakteurin von "impulse".

© Mike Wolff

Ein Zwischenruf zur Konjunktur: Nach der Hitzewelle kommt der Herbst

Deutschland profitiert wirtschaftlich von Umständen, die es selbst nicht geschaffen hat. Das wird nicht von Dauer sein. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

Mit der Konjunktur ist es wie mit dem Hochsommer. Auf dem Höhepunkt der Hitzewelle ist in Wahrheit der Herbst schon unterwegs, man bemerkt es nur noch nicht. Das Wachstum ist in Deutschland prima, die Exportmaschine läuft, der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Und doch geht der Spaß zu Ende.

Die ökonomische Großwetterlage stellt sich um. China und die Schwellenländer leiden sehr offensichtlich unter Wachstumsschwäche. Und wenn in Asien und Lateinamerika weniger ausländische Waren eingekauft werden, merken das die deutschen Auto- und Maschinenbauer, die Pharma- und Chemiekonzerne sofort. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland bewirken dasselbe: Wo nichts mehr geliefert wird, werden auch keine Rechnungen mehr geschrieben. Der EU-Binnenmarkt hilft auch nicht. Selbst wenn sich in einigen Krisenländern die Lage verbessert, reicht das lange nicht aus, um die Freude an deutschen Autos wieder erwachen zu lassen.

Nur Amerika freut sich über seine wiedergefundene Stärke. Weil die Energiekosten durch das Fracking stark gesunken sind, investieren Unternehmen jetzt lieber hier als in Europa. Einen ganzen neuen Wirtschaftszweig beherrschen die USA zudem nahezu unangefochten: die Internetwirtschaft. Ihren Aufschwung haben die Amerikaner sich selbst verdient. In Deutschland dagegen sieht das anders aus. Der Euro ist wegen der Krise Südeuropas schwach, doch mehr als die Hälfte des Umsatzwachstums deutscher Konzerne geht auf diesen Effekt zurück. Die Zinsen sind extrem niedrig. Das erleichtert Investitionen und den Schuldendienst der öffentlichen Haushalte im Norden. Der Ölpreis ist so niedrig wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Finanzkrise.

All das wirkt wie ein Konjunkturprogramm, das die zunehmenden Schwächen Deutschlands überdeckt: Die energieintensive Industrie wandert aus. Die Lohnstückkosten steigen, es wird zu wenig investiert. Bei der Digitalisierung stolpern weite Teile der deutschen Wirtschaft hinterher. Die öffentlichen Haushalte blähen sich auf, wenn man die Zahlen um den Zinsvorteil bereinigt. Deutschland profitiert von Umständen, die es selbst nicht geschaffen hat – und die es derzeit verspielt. Für einen konjunkturellen Herbst ist das Land nicht gerüstet.

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