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Politik: Ende der Mär

Von Harald Schumann

Jetzt ist es raus. Der Staat brauche mehr Geld, anders sei die Republik „nicht zukunftsfähig“ zu gestalten, fordert Kurt Beck, der designierte SPD-Vorsitzende. Und zahlen sollen – „natürlich“ – die Steuerzahler, wer sonst. Entsprechend groß ist der Protest. „Gift für die Konjunktur“, empört sich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und mit ihm all jene, die den Staat seit je für eine ineffiziente Veranstaltung halten, die es auszuhungern gilt. Die Sozis wollen die Steuern erhöhen, die Besitzstandswahrer des besser gestellten Teils der Gesellschaft wollen nicht zahlen – alles wie gehabt also? Wenn es doch so einfach wäre.

Gewiss wäre es ehrlicher gewesen, Beck hätte seine unpopuläre Forderung vor der Wahl in Rheinland-Pfalz erhoben. Und dilettantisch war es, nicht klar zu benennen, welche Steuern er denn in welchem Umfang für welchen Zweck erhöhen möchte. Gleichwohl ist Becks Vorstoß nur allzu berechtigt. Denn unbestreitbar haben gerade die von der SPD selbst betriebenen Steuersenkungen so hohe Einnahmeausfälle erzeugt, dass mittlerweile verantwortungslos an zentralen Zukunftsaufgaben gespart wird.

Das gilt zuallererst für das Bildungswesen. Zum Pflichtprogramm von Politikern jeder Couleur gehört heutzutage der Hinweis, dass Deutschland nur durch vermehrte Investitionen in die Fähigkeiten junger Leute die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs und der Alterung der Gesellschaft bewältigen kann. Doch zugleich sehen sie tatenlos zu, wie die Schulen fast ein Fünftel eines jeden Schülerjahrgangs ohne brauchbaren Abschluss in die programmierte Arbeitslosigkeit entlassen. Im Vergleich der Industriestaaten erreicht Deutschland bei den Bildungsausgaben inzwischen nicht einmal mehr den Durchschnitt und liegt auf dem 20. Rang.

Nicht minder dramatisch steht es um die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Diese lagen in 2005 um volle 35 Prozent unter dem Niveau von 1995. In den Kommunen wird inzwischen mehr abgeschrieben als investiert, sie verlieren laufend an Substanz. Parallel dazu gingen seit 1995 nur im öffentlichen Dienst fast 700 000 Arbeitsplätze verloren. Anteilig arbeiten in Deutschland heute weniger Menschen für den Staat als in den USA, dem Mekka der deutschen Staatsverächter.

All das wurde erzwungen durch milliardenschwere Steuergeschenke an diejenigen, die ohnehin zu den Gewinnern zählen. Allein die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent kostete rund 15 Milliarden Euro Staatseinnahmen im Jahr. Die damit versprochene Ankurbelung der Konjunktur, eine Art Kaufkrafttheorie für Reiche, blieb dagegen aus. Noch teurer war die Senkung der Körperschaftsteuer unter Beibehaltung der vielen Umgehungsmöglichkeiten. Darum zahlen Kapitalgesellschaften in keinem anderen großen Industrieland so wenig Gewinnsteuern wie in Deutschland. Das Gleiche gilt für die Steuerlast auf private Vermögen, also die Erbschaft-, Schenkungs-, Grund- und Vermögensteuer, die gerade mal 2,5 Prozent der Einnahmen bringen. Würden sie nur auf das Niveau der USA angehoben, ließe sich fast das gesamte Staatsdefizit in Höhe von 57 Milliarden Euro ausgleichen.

So kommt das von Kurt Beck erklärte Ende der Mär vom Hochsteuerland Deutschland zwar spät, aber zumindest wird die Debatte jetzt geführt. Noch besser wäre, wenn der Kanzlerkandidat in spe auch die Mitschuld seiner Partei an der gegenwärtigen Staatsmisere offen bekennen würde.

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