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Politik: Ende eines Albtraums

Murat Kurnaz saß vier Jahre im US-Lager Guantanamo – heute will er über die Haftbedingungen reden

Hamburg - Murat Kurnaz mag eine böse Vorahnung gehabt haben, als er im November 2001 bei einer Pakistanreise in eine Polizeikontrolle geriet und festgenommen wurde. Mit dem Albtraum, der ihm bevorstand, konnte der in Bremen geborene und aufgewachsene Türke indes nicht rechnen. Mehr als vier Jahre wurde Kurnaz im berüchtigten US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba unter Terrorverdacht festgehalten – ohne Anklage oder ein ordentliches Gerichtsverfahren. Am Donnerstag schien sein Freilassung unmittelbar bevorzustehen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einem „erfolgreichen Abschluss“ der Verhandlungen mit den USA. Kurnaz’ Anwalt Bernhard Docke sagte, sein Mandant wolle sich ausführlich zu den Haftbedingungen äußern. Kurnaz werde am Freitag in Bremen eine Pressekonferenz geben und dabei Rede und Antwort stehen.

Kurnaz’ Lebenslauf beginnt wie der eines durchschnittlichen Einwanderersohns aus dem Bremer Arbeiterviertel Hemelingen. Seine Eltern, ein Daimler-Arbeiter und eine Hausfrau, erzogen ihn und seine drei Geschwister als liberale, weltlich eingestellte Muslime. Murat machte seinen Hauptschulabschluss und begann eine Ausbildung zum Schiffsbautechniker. Mehr und mehr aber prägte der Islam das Leben des Jugendlichen. Seine Ansichten wurden orthodoxer und sein Bart länger.

Als Kurnaz am 3. Oktober 2001, kurz nach den Anschlägen vom 11. September in den USA, von Bremen nach Pakistan flog, war er 19 Jahre alt. Bei einem Türkeiurlaub hatte er gerade in einer religiösen Zeremonie geheiratet. Nach Angaben seines Bremer Anwalts Bernhard Docke war Kurnaz als religiöser Tourist in Pakistan unterwegs und wollte den Koran studieren. Weder Englisch noch Arabisch habe der Azubi gekonnt und auch keine Militärausbildung gehabt. Trotzdem wurde der 19-Jährige an jenem Novembertag in Pakistan in einem Bus festgenommen. Später stülpte man ihm einen Sack über den Kopf und übergab ihn US-Sicherheitskräften, die den Bremer als „feindlichen Kämpfer“ einstuften und nach Guantanamo ausflogen. Seither wurde Kurnaz in einer engen Zelle festgehalten und durfte nur wenige Male mit seinem amerikanischen Anwalt Baher Azmy sprechen. Ihm hat der inzwischen 23-Jährige von unwürdigen Haftbedingungen und Folterungen berichtet, die er in dem Gefangenenlager am eigenen Leib erfuhr.

Die Vorwürfe gegen den Bremer bleiben vage. Er soll in Moscheen in Pakistan Kontakte zum radikalen Milieu und sogar zum Al-Qaida-Netzwerk geknüpft haben. In Deutschland wurde Kurnaz daher schnell „Bremer Taliban“ getauft. Dabei sind die USA jeden Beweis schuldig geblieben, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen gefährlichen Kämpfer handelt.

Im Gegenteil entlastete eine Washingtoner Bundesrichterin Kurnaz Anfang 2005 vom Terrorvorwurf. Auch deutsche Geheimdienstler, die Kurnaz in dem Lager befragt haben sollen, sehen in ihm angeblich längst einen „harmlosen Spinner“. Kurnaz selbst hatte vor einem Militärtribunal der US-Armee seine Unschuld beteuert. Während andere europäische Häftlinge auf freien Fuß kamen, blieb der Bremer in Guantanamo.

Während der Haft äußerte Kurnaz den Wunsch, nach einer Freilassung nach Bremen zurückzukehren. Doch die Hansestadt wollte ihn zunächst gar nicht haben. So hatte ihm die Ausländerbehörde mit der absurd klingenden Begründung die Aufenthaltserlaubnis entzogen, er habe es versäumt, das Dokument zu verlängern. Das Verwaltungsgericht Bremen verwarf diese Begründung. Juristisch steht einer Rückkehr somit nichts mehr im Wege.

Julia Deppe (AFP)

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