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Politik: Entführt und entfesselt

Von Lorenz Maroldt

Die Entführung zweier Deutscher im Irak und die Wut in der islamischen Welt auf Dänemark weisen eine Reihe von Parallelen auf. Die Offensichtlichste: Im Orient werden die Brücken zum Okzident abgebrochen. Die Geiselnehmer fordern, dass die deutsche Botschaft in Bagdad geschlossen wird, alle deutsche Firmen den Irak verlassen und die Bundesregierung jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden einstellt. Der Subtext: Ungläubige, lasst euch hier nie wieder blicken! Im anderen Fall, der Empörung über Mohammed-Karikaturen, die zuerst in einer dänischen Zeitung veröffentlicht wurden, rufen arabische Länder ihre Botschafter zurück, vertreiben Palästinenser skandinavische Geschäftsleute und boykottieren Muslime nordeuropäische Waren.

Nachdem jetzt viele Zeitungen der westlichen Welt, so auch der Tagesspiegel, einige der Karikaturen nachgedruckt haben, wird sich der Zorn bald auch gegen andere Länder richten. Der unmäßige Furor, der dabei entfacht wird, verdeutlicht den Grad der Fremdheit. So fordern die Außenminister der arabischen Staaten eine strenge Bestrafung der Zeichner, die es wagten, den Propheten Allahs abzubilden; Hunderttausende tragen ihren Hass auf die Straße, verbrennen dänische Fahnen und Bilder des dänischen Regierungschefs; die UN sollten sich der Provokateure annehmen, heißt es; und in Internetforen rufen Islamisten zu Gewalttaten an Urhebern und Verbreitern der Karikaturen auf. Nicht einmal mehr ein Nebeneinander der Kulturen und Religionen erscheint da möglich. Eine Bereitschaft zur Differenzierung ist nicht zu erkennen, auch nicht zur Selbstreflexion: Der Antisemitismus im „Stürmer“-Stil, den arabische Zeitungen pflegen, findet offenbar die Billigung Allahs.

Ähnlich sind auch die Probleme, die sich beim Umgang sowohl mit den Entführern, als auch mit den Entfesselten stellen. Nachgeben ohne Wenn und Aber – das geht nicht, ohne die Freiheit der demokratischen Gesellschaft dem Gesinnungsterror zu opfern. Kompromisslos hart bleiben aber kann den Tod bedeuten – den von Verschleppten wie auch den von Künstlern. Es hat solche Morde gegeben, in irakischen Verstecken wie auch in Amsterdam auf offener Straße. Oft wird deshalb ein Mittelweg klammheimlich und schamrot beschritten: Lösegeldzahlung über Umwege im einen Fall; tiefe Verbeugung vor dem Koran mit zeitgleichem Bekenntnis zu den westlichen Werten im anderen. Beides schmeckt bitter. Doch es geht noch schlimmer.

Der deutsche Journalistenverband hat sich im Fall der Mohammed-Karikaturen bei seiner Verbeugung vor den beleidigten Muslime den Kopf am Gebetsteppich aufgeschlagen. Entscheidend sei Ziffer 10 des Pressekodex, wonach Veröffentlichungen, die das sittliche oder religiöse Empfinden einer Personengruppe wesentlich verletzen können, mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren sind. Dieser sehr gut gemeinte Satz wird allerdings ausbalanciert von einem anderen, der da lautet: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Und weiter: Eine Zensur findet nicht statt. So steht es im Grundgesetz. Das, immerhin, ist dem Vorsitzenden des multikorrekten Verbandes dann auch selbst noch aufgefallen. Kurz nach der ersten Erklärung stellte er klar: Der Karikaturennachdruck sei „ein notwendiger Beitrag zur Meinungsbildung“.

Wenn sich eine Gesellschaft abhängig macht allein vom „Empfinden“ einer Gruppe von Menschen, dann ist sie nicht mehr frei. Das Empfinden entzieht sich der Nachweisbarkeit. Willkür ist die Folge – oder Selbstzensur. Und die ist spürbar. Es geht hier nicht um die Frage, was Satire darf (alles, meinte Tucholsky; er hätte es schwer heutzutage), sondern ob es sie geben darf. Es geht nicht um Dänemark, sondern um das Selbstverständnis mindestens der Europäischen Union. Es geht auch nicht um Anstand und Respekt, sondern um die Definitionsmacht, was das überhaupt ist. Diese Macht aber kann in demokratisch verfassten Staaten nicht allein einer Glaubensgemeinschaft überlassen werden.

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