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Update

Enthüllungen über Merkel und Westerwelle: "Teflon"-Kanzlerin und Außenminister mit "wenig Substanz"

Von den neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen sind auch Guido Westerwelle und Angela Merkel betroffen. Zunächst musste sich die Enthüllungsplattform nach eigenen Angaben aber einer Cyber-Attacke erwehren.

Das Geheimnis hat in der politischen Geschichte eine lange Tradition. Es gehört zum politischen Handwerkszeug. Eines aber soll nach dem Willen der Regierungschefs, Minister und Diplomaten niemals passieren: dass diese Geheimnisse öffentlich werden. Vor allem dann nicht, wenn sie kompromittierend sein könnten. Genau damit aber muss die US-Regierung jetzt umgehen - genau wie weltweit ihre Verbündeten und Gegner. Unter dem Link http://cablegate.wikileaks.org/ (der Begriff "Cablegate" ist angelehnt an die Watergate-Abhör-Affäre um den damaligen US-Präsidenten Richard Nixon) hat die Enthüllungsplattform Wikileaks in der Nacht zu Montag erste Berichte über geheime Dokumente veröffentlicht. Am Montagmorgen um kurz nach sechs waren allerdings erst 220 von insgesamt 251.287 "Cables" (der Fachbegriff für die Depeschen, die Diplomaten schicken) im Netz. Wikileaks will nach und nach veröffentlichen und sich dabei Zeit nehmen.

1719 Berichte aus der US-Botschaft in Berlin werden im Rahmen der Veröffentlichung insgesamt erwartet. Laut "Spiegel" - Wikileaks arbeitet erneut mit dem Nachrichtenmagazin sowie internationalen Zeitungen wie dem britischen "Guardian" und der "New York Times" zusammen - stammen 90 Prozent der Dokumente aus der Zeit seit 2005. Nur sechs Prozent seien als "geheim" eingestuft, 40 Prozent als "vertraulich".

Allerdings hatte die Hauptquelle der Veröffentlichungen, Wikileaks, am Sonntag ein Problem: Die Seite wurde nach eigenen Angaben Ziel einer Cyber-Attacke. Die Website sehe sich einem so genannten Denial-of-Service-Angriff ausgesetzt, erklärte Wikileaks über den Kurzmitteilungsdienst Twitter. Bei solchen Angriffen werden Websites gleichzeitig mit Unmengen von Anfragen bombardiert, um sie durch Überlastung zum Zusammenbruch zu bringen. Am Montagmorgen war Wikileaks dann wieder online.

Was wurde über deutsche Politiker veröffentlicht?

Vor allem Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) spielt in den Dokumenten, die der "Spiegel" ausgewertet hat, eine zentrale Rolle. In Geheimberichten der US-Botschaft in Berlin wird demnach sowohl Westerwelles Kompetenz als Außenminister als auch seine Persönlichkeit kritisch betrachtet. Die US-Botschaft kommt zu der Erkenntnis, dass Westerwelle seinen Job erst noch lernen müsse. Seine Gedanken hätten "wenig Substanz", schreibt laut "Spiegel" der gegenwärtige US-Botschafter in Berlin, Philip Murphy. Das liege vor allem daran, dass offenbar seine "Beherrschung komplexer außen- und sicherheitspolitischer Themen noch Vertiefung erfordert". Außerdem werde er als aggressiv, eitel und amerikakritisch beschrieben. Der "Spiegel" berichtet über eine Depesche aus der US-Botschaft vom 22. September 2009, also knapp eine Woche vor der Bundestagswahl, in der auf Westerwelles "überschäumende Persönlichkeit" eingegangen wird. Zudem wird er in den Dokumenten als "opportunistisch" beschrieben und das Fazit gezogen: "Er ist kein Genscher."

Ebenfalls kritisch, aber deutlich positiver sei Bundeskanzlerin Angela Merkel bewertet worden. Ihr wird "mehr Erfahrung in Regierungsarbeit und Außenpolitik" attestiert, berichtet der "Spiegel". Aber dennoch fremdeln die US-Vertreter mit Merkel. "Angela 'Teflon' Merkel" wird sie in den Berichten genannt, weil viel an ihr abgleite. "Sie meidet das Risiko und ist selten kreativ", heißt es in einem Bericht vom 24. März 2009. Die Amerikaner resümieren, dass die Kanzlerin die internationale Diplomatie vor allem unter dem Gesichtspunkt sehe, welchen Profit sie innenpolitisch daraus ziehen könne. Positiv für das deutsch-amerikanische Verhältnis wurden Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sowie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingeschätzt.

Berichtet wird aber nicht nur über die Politiker, sondern auch über die Quellen der US-Botschaft. Demnach habe eine Person im Oktober 2009 mehrmals aus den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP berichtet. Es ist die Rede von einem "jungen, aufstrebenden Parteigänger" der FDP, schreibt Murphy in einem Bericht vom 9. Oktober 2009. Der Liberale habe "den Botschaftsmitarbeitern schon in der Vergangenheit interne Parteidokumente angeboten". Außerdem sei er bereit gewesen, persönliche Notizen vorzulesen und Dokumente aus den Verhandlungen zu übergeben.

Wie reagiert der US-Botschafter?

US-Botschafter Murphy sieht durch die Veröffentlichungen das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht belastet. "Es wird jetzt ein paar schwierige Tage geben, aber ich bin fest davon überzeugt, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis von diesen Verstimmungen nicht dauerhaft belastet wird. Wir werden das durchstehen", sagte er dem Tagesspiegel. Erstens seien die Beziehungen bereits "über so viele Jahre und in so unterschiedlichen Koalitionen gut, und zweitens braucht die Welt auch ein tadelloses Zusammenarbeiten Amerikas und Deutschlands". Entschuldigen will sich Murphy vorerst nicht. "Es geht nicht um Entschuldigungen. Mit Frau Merkel und Herrn Westerwelle bin ich glücklicherweise permanent im Gespräch, daran wird sich nichts ändern und ich bin sicher, dass wir diese schwierige Phase jetzt sowohl auf Regierungs- als auch auf der persönlichen Ebene in den Griff bekommen werden." Sowohl vor Merkel als auch vor Westerwelle habe er "allerhöchsten Respekt". In "allerhöchstem Maße erbost" zeigt er sich dagegen von Wikileaks. Es sei "verantwortungslos, solche Dokumente zu veröffentlichen, die der Welt keinen Gewinn liefern, aber dafür erheblichen politischen und persönlichen Schaden anrichten", sagte er.

Wie reagieren die USA?

Den USA ist durch die Veröffentlichung der Geheimdokumente mindestens ein diplomatischer Flurschaden entstanden. Das US-Außenministerium hat deshalb versucht, mit einem Brief an Wikileaks- Gründer Julian Assange die erwartete Massen-Veröffentlichung von Regierungsdokumenten zu verhindern. Die geplante Offenlegung der vertraulichen und zum Teil als geheim eingestuften Berichte amerikanischer Botschaften "gefährdet das Leben zahlloser Personen", heißt es in dem Schreiben des Rechtsberaters des Ministeriums, Harold Hongju Koh. Eine Veröffentlichung setze Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Blogger, Soldaten und Informanten Risiken aus, schreibt Koh. Auf dem Spiel stünden außerdem laufende Operationen im Kampf gegen den Terror, Menschen- und Waffenschmuggel. Auch die Kooperation von Staaten werde gefährdet. "Präsident (Barack) Obama unterstützt ein verantwortliches, zuverlässiges und offenes Regieren daheim und in aller Welt, aber solch rücksichtsloses und gefährliches Handeln widerspricht diesen Zielen", sagte ein Sprecher des US-Präsidenten am Sonntag.

Die USA lehnten alle Verhandlungen über die Offenlegung weiterer Dokumente ab, heißt es weiter. Assange hatte die USA aufgefordert, der Website alle Betroffenen zu nennen, die durch die Enthüllungen gefährdet werden könnten. Assange selbst ist derzeit abgetaucht. Denn die schwedische Justiz sucht per Haftbefehl wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung nach dem Australier. Assange weist die Vorwürfe zurück.

Die Dokumente stammen aus der US-Regierungsdatenbank SIPRNet. Was ist das?

Über das offene Internet wollte die US-Regierung ihre geheimen Regierungsdokumente nicht verschicken, also ordnete das Pentagon den Aufbau eines eignen Netzwerks an, das sogenannte Secret Internet Protocol Router Network (SIPRNet). In diesem Netzwerk sollten Dokumente des Außen- und Verteidigungsministeriums bis zur zweithöchsten Geheimhaltungsstufe (secret/geheim) sicher übermittelt werden. Dokumente der höchsten Geheimhaltungsstufe (top secret/streng geheim) werden über einen anderen Weg verschickt. Gewappnet war das Geheimnetz gegen Angriffe von außen, nicht aber gegen jene von innen. Und davon profitiert nun Wikileaks. Der 23-jährige Obergefreite Bradley Manning, der als Sicherheitsspezialist der US-Streitkräfte im Irak Zugang zum SIPRNet hatte, gilt als Quelle für diverse Wikileaks-Veröffentlichungen. Zum einen soll er ein Video nach außen geschmuggelt haben, auf dem der Einsatz eines US-Kampfhubschraubers aus dem Jahr 2007 mit der Bordkamera aufgenommen wurde. In dem Video war deutlich zu sehen, wie elf Zivilisten - darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters - aus dem Hubschrauber heraus erschossen wurden. Manning wurde im Mai festgenommen und nach US-Militärrecht wegen Geheimnisverrats angeklagt. Er ist aber vermutlich nicht die einzige undichte Stelle im SIPRNet. 2,5 Millionen US-Beamte und -soldaten haben Zugriff auf das Geheimnetzwerk.

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