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Politik: Entlassungen bringen Athen in Bedrängnis Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf

Athen - Mehr als ein Jahr lang schob die Regierung das Thema vor sich her wie eine heiße Kartoffel. Jetzt aber ist sie gezwungen, die versprochenen Stellenstreichungen im Staatsdienst durchs Parlament zu bringen.

Athen - Mehr als ein Jahr lang schob die Regierung das Thema vor sich her wie eine heiße Kartoffel. Jetzt aber ist sie gezwungen, die versprochenen Stellenstreichungen im Staatsdienst durchs Parlament zu bringen. Es ist die erste schwere Bewährungsprobe der erst vor zwei Wochen gebildeten griechischen Regierungskoalition aus Konservativen und Sozialisten. Bis zum Ende der Woche muss es geschafft sein, sonst gerät die Auszahlung versprochener Hilfsgelder in Gefahr.

Zudem muss das Parlament bis zum 19. Juli ein weiteres Reformpaket verabschieden. Nur unter dieser Voraussetzung werden die am Montag von den Finanzministern der Euro-Gruppe im Grundsatz gebilligten Kreditraten von 6,8 Milliarden Euro ausgezahlt. Das Reformgesetz umfasst 108 Artikel. Sie betreffen unter anderem Änderungen bei der Einkommensteuer und Einsparungen im Gesundheitswesen. Kontrovers sind aber vor allem jene Bestimmungen, die den Stellenabbau im öffentlichen Dienst regeln.

In diesem Jahr muss Griechenland 25 000 Staatsbedienstete mit reduzierten Bezügen in eine sogenannte Mobilitätsreserve überstellen, davon 12 500 bis Ende September. Wer nach acht Monaten keine andere Verwendung gefunden hat, wird entlassen. Betroffen sind vor allem Berufsschullehrer, Verwaltungspersonal in den Schulen, Ministerialbeamte und Kommunalpolizisten.

Das Thema ist aus drei Gründen brisant. Erstens ist angesichts einer Arbeitslosenquote von 27 Prozent jede Entlassung eine zu viel. Ohnehin prognostiziert das griechische Wirtschaftsforschungsinstitut IOBE, dass Griechenlands Wirtschaft in diesem Jahr stärker schrumpfen wird als erwartet, nämlich um bis zu fünf Prozent statt bisher angesetzter 4,2 Prozent. Die Arbeitslosenquote wird laut IOBE auf 27,8 Prozent steigen.

Zweitens tun sich die Politiker mit dem Stellenabbau schwer, weil der öffentliche Dienst bisher im Mittelpunkt des griechischen Klientel-Unwesens stand. Über die Vergabe der Jobs in den Behörden entschieden meist politische Beziehungen.

Drittens sind die Entlassungen brisant, weil die öffentlichen Bediensteten gewerkschaftlich straff organisiert sind. Aus Protest besetzten am Mittwoch bereits hunderte Kommunalangestellte Rathäuser und Verwaltungsgebäude. Für kommende Woche riefen die Gewerkschaften zu Streiks im öffentlichen Dienst auf. Dann droht zum Beispiel die Einstellung der Müllabfuhr.

Für Ministerpräsident Antonis Samaras wird die Abstimmung über das Gesetzespaket eine Zitterpartie. Die beiden Regierungsparteien haben zwar eine Mehrheit von 155 der 300 Sitze. Aber nicht nur in den Reihen der sozialistischen Pasok gibt es Widerstände gegen die Stellenstreichungen. Auch in Samaras’ konservativer Nea Dimokratia rumort es. Dabei müssen die Streichungen unbedingt bewilligt werden. „Es ist an der Zeit, das Reformtempo in Griechenland zu erhöhen“, mahnt EU-Währungs- und Wirtschaftskommissar Olli Rehn. Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erinnerte an die gesetzte Frist: „Griechenland muss bis zum 19. Juli weitere Arbeit erledigen, so dass die nächste Auszahlung genehmigt werden kann.“ Schäuble wird am Donnerstag kommender Woche in Athen erwartet – einen Tag vor Ablauf des Ultimatums. Gerd Höhler

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