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Finanziell entlastet: Eine junge Frau hält die Hand einer Heimbewohnerin.

© picture alliance/dpa

Entlastung für Angehörige von Heimbewohnern: Wer trägt jetzt die Kosten für die Pflege?

Angehörige von Pflegebedürftigen werden finanziell entlastet. Das hat der Bundestag beschlossen. Doch wer trägt jetzt die Kosten?

Die Kinder von Pflegebedürftigen können aufatmen: Sie werden, sofern sie über kein besonders hohes Einkommen verfügen, künftig nicht mehr zur Kasse gebeten. Zur emotionalen Belastung kommen also nicht auch noch finanzielle Sorgen. Doch die Entlastung der Familien hat eine Kehrseite. Die Kommunen müssen mit deutlichen Mehrausgaben rechnen. Und immer mehr Pflegebedürftige werden, weil sie und ihre Ehepartner die steigenden Kosten nicht aufzubringen vermögen, zum Sozialfall.

Was genau wurde im Bundestag beschlossen, und wer profitiert davon?

Künftig, so beschloss der Bundestag, haben sich unterhaltspflichtige Kinder erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro an den Pflegekosten ihrer Eltern zu beteiligen. Das gilt übrigens umgekehrt auch für die Eltern von erwachsenen, pflegebedürftigen Kindern – und dabei gilt die Einkommensgrenze dann pro Elternteil. Bislang springt zunächst das Sozialamt ein, wenn Pflegebedürftige die Heimkosten nicht mehr zahlen können. Meist holen sich die Behörden das Geld aber zumindest teilweise von den Angehörigen zurück. Dem Gesetzentwurf zufolge könnten von der Entlastung rund 55.000 Menschen profitieren.

Auf Sozialhilfe angewiesen sind derzeit rund 300.000 Heimbewohner. Arbeitsminister Hubertus Heil nannte das Gesetz einen „Beitrag zur Menschlichkeit“. In einer emotional ohnehin schwierigen Situation „nehmen wir den pflegenden Angehörigen eine unkalkulierbare Last von den Schultern“, sagte der SPD-Politiker. Das sehen offenbar auch die Grünen so, die dem Gesetz, anders als FDP, Linke und AfD, zustimmten. In der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gibt es die 100.000-Euro-Regelung schon heute. Außen vor bleiben bei der Neuregelung mit Einkommensgrenze allerdings die Eltern pflegebedürftiger Kinder und die Ehepartner von Pflegebedürftigen, die auch künftig voll unterhaltspflichtig sind.

Was monieren die Kritiker?

Durch die Neuregelung würden sich „viel weniger Angehörige an den Pflegekosten beteiligen“ als bisher, prognostiziert der Deutsche Städtetag. Dadurch sei für die Träger der Sozialhilfe mit Mehrbelastungen von 500 Millionen Euro im Jahr zu rechnen. Das Gesetz sehe dafür bisher keinerlei Kostenausgleich vor, was so nicht bleiben könne. Die Kommunen würden unter den Lasten zusammenbrechen, prophezeite der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz dagegen behauptete, die Neuregelung werde in der Praxis kaum spürbar sein.

Von den vier Milliarden Euro, die die Kommunen für die Sozialhilfe von Pflegebedürftigen zahlten, holten sie sich auch bisher schon nur 77 Millionen von Angehörigen zurück, sagte Vorstand Eugen Brysch unter Hinweis auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Das seien gerade mal zwei Prozent. Die Eltern von Pflegebedürftigen würden somit nur um wenige Millionen Euro entlastet.

Was ändert sich durch das Gesetz für finanziell überlastete Pflegebedürftige?

Atmosphärisch im Verhältnis zu ihren Erben vielleicht einiges, finanziell aber gar nichts. Durch das Gesetz werde es „keinen Menschen weniger geben, der Sozialhilfe beantragen muss“, sagt der Linken-Experte Matthias Birkwald. Schon jetzt ist rund ein Drittel aller Pflegebedürftigen im Alter auf solche Unterstützung angewiesen. Und wenn die Kostensteigerungen so weitergehen, könnte es bald jeder Zweite sein. So hat sich allein der Eigenanteil für reine Pflegeleistungen, die eigentlich der gesetzlichen Versicherung oblägen, zwischen 1999 und 2015 mehr als verdoppelt. Um vollstationär versorgt zu werden, haben die Bewohner derzeit knapp 1930 Euro pro Monat aus eigener Tasche zu zahlen. Das ist aber nur der Bundesdurchschnitt, in manchen Ländern liegt der Eigenanteil bei mehr als 2500 Euro. „Die Schmerzgrenze der finanziellen Leistungsfähigkeit ist bereits heute in der Breite erreicht“, meint Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Und sie warnt davor, dass das alles zunehmend die Akzeptanz der Pflegeversicherung gefährde. Schließlich sei die eigens erfunden worden, um Menschen im Alter die Würde zu bewahren und sie auch im Fall von Pflegebedürftigkeit nicht zu Sozialhilfe-Empfängern zu degradieren. "Es geht darum, das Lebenswerk von Norbert Blüm zu retten."

Was sind die Gründe für die Kostensteigerungen, und was ist da noch zu erwarten?

Prognosen zufolge könnte sich der Eigenanteil von Heimbewohnern in den kommenden fünf Jahren um weitere 500 bis 900 Euro im Monat erhöhen. Eine Steigerung um 35 Prozent sei realistisch, meint der Bremer Pflegeexperte Heinz Rothgang. Besonders träfe das Pflegebedürftige in Ostdeutschland, die bisher wegen des Lohngefälles zum Westen noch vergleichsweise günstig wegkommen. Doch bei den Löhnen soll ja wegen des Pflegekräftemangels nach erklärtem Willen der Politik einiges geschehen. Demnächst könnte es einen bundesweiten Tarifvertrag geben, den der Arbeitsminister dann gerne für allgemeingültig erklären würde. Das würde nicht nur die Löhne, sondern auch den Eigenanteil der Pflegebedürftigen massiv nach oben hieven, da die Versicherungsleistung ja gedeckelt ist. Und auch andere gewünschte Reformen tragen zur Verteuerung bei.

Dank generalisierter Pflegeausbildung können gelernte Altenpflegekräfte bald auch im Krankenhaus arbeiten, wo man sie deutlich besser bezahlt – die Löhne in den Pflegeheimen müssten also auf vergleichbares Niveau steigen, um die Personallücken der Heime nicht noch größer werden zu lassen. Und das geplante Personalbemessungssystem, das endlich eine fachlich nötige Mindestbesetzung garantieren soll, wird die Kosten weiter steigen lassen. Schätzungen zufolge liegt der Personalmehrbedarf bis 2025 bei 35 Prozent. Das allein würde noch mal fünf Milliarden Euro pro Jahr verschlingen.

Was tut die Politik gegen den steigenden Eigenanteil für die Heimbewohner?

Bisher nichts. Für Jens Spahn besteht die Priorität darin, fachlich gute Pflege zu sichern und die Arbeitsbedingungen des Personals zu verbessern. Doch die Länder machen Druck. Am Montag treffen sich deren Gesundheitsminister mit Spahn, um über Reformen zu beraten. Und Prüfer-Storcks wird dort für die sogenannten A-Länder einen gepfefferten Forderungskatalog präsentieren.

Die Hamburgerin verlangt als Sofortmaßnahme eine einmalige Anhebung der Pflegeleistungen um 200 Euro im Monat. Die Kosten dafür – rund 1,8 Milliarden Euro im Jahr – sollten, fordert sie, aus Steuern finanziert werden, denn Pflege sei aufgrund der demografischen Entwicklung gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mittelfristig müssten die Eigenanteile dann verlässlich und gegebenenfalls länderspezifisch begrenzt werden. Zudem sei die medizinische Behandlungspflege – immerhin ein Posten von 2,5 bis 3 Milliarden Euro im Jahr – der Krankenversicherung zuzuschlagen und der Steuerzuschuss weiter zu erhöhen.

Wegen des Kostendrucks müssten Entscheidungen schnell getroffen werden, drängt die Senatorin. Sie hofft auf eine Bund-Länder-AG, die noch in dieser Legislatur Verbesserungen auf den Weg bringt. " Im Hause Spahn gibt man sich zurückhaltend. Man rede darüber, wie sich die Pflege „zukunftsfest“ machen lasse, hieß es. Und dass es sich nicht um ein Krisentreffen, sondern um „offenen Gedankenaustausch“ handle.

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