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Politik: Entscheidende Wahl

Von Antje Vollmer

Heute wird der Landtag von NordrheinWestfalen gewählt, am 29. Mai 2005 stimmt Frankreich über die Europäische Verfassung ab. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen hat zweifellos eine Bedeutung, die über die einer „normalen“ Landtagswahl hinausreicht. Doch trotz Wahlkampfendspurt in NRW sind Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer mehrfach nach Frankreich gereist, um an einer europäischen Entscheidung ganz besonderer Art teilzunehmen. Sie werben dort für eine Zustimmung zur Europäischen Verfassung. Richard Schröder warnt zu Recht vor deutscher Nabelschau, während sich das Projekt Europa in schweren Wassern befindet.

Bei Licht betrachtet stellen sich auf der europäischen Ebene und auf derjenigen einer bedeutenden Landtagswahl in Deutschland durchaus ähnliche Fragen: Wie können wir in Deutschland und Europa im Zeitalter der Globalisierung das Erbe von sozialer Marktwirtschaft, ökologisch gestalteter Umwelt, kultureller Tradition, religiöser Toleranz so bewahren und gestalten, dass die Menschen Ja sagen zu nötigen Reformen und keine Sorgen mehr haben vor den Folgen der europäischen Vereinigung? Wie können wir Europa zu einer Herzensangelegenheit der Menschen machen, die es immer noch oft als bürokratischen alltagsfernen Moloch einschätzen?

Die französische Regierung hat sich dafür entschieden, den Weg eines Referendums zu gehen. Eine mutige Entscheidung, denn die Gefahr des Referendums besteht darin, dass mit ihm innenpolitische Rechnungen beglichen werden können. Wie kann man das eine von dem anderen trennen? Was gibt den Ausschlag?

Die Entwicklung eines europäischen Gesellschafts-, Sozial- und Friedensmodells, das die Lehren aus der blutigen Geschichte des Kontinents zieht, dürfte ohne Frankreich kaum zu verwirklichen sein. Deshalb ist der Ausgang des Referendums in Frankreich von zentraler Bedeutung auch für uns, die wir heute gebannt nach Düsseldorf starren.

Ein positives Votum der Franzosen wird dazu beitragen, einer rückwärtsgewandten Version Europas den Weg zu verstellen: Frankreich und Deutschland werden misstrauisch beäugt und der Achsenbildung zum Zwecke der Dominanz verdächtigt, Großbritannien verharrt auf seinem distanziert-beobachtenden Außenposten, und die „Kleinen“ formieren sich gegen die „Großen“. Ein französisches Ja kann ein entscheidender Schritt in Richtung geglücktes Europa sein: Die „Großen“ gehen keine Sonderwege, sie begreifen die Entwicklung der „Kleinen“ als Gestaltungsaufgabe zum beiderseitigen Vorteil, und alle Regierungen stärken die tatsächlichen Mitgestaltungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten ihrer Bürger in Europa. Volksabstimmungen auch bei uns gehören dann dazu.

Antje Vollmer ist Vizepräsidentin des Bundestages und Grüne . Sie schreibt die Kolumne im Wechsel mit Richard Schröder und Wolfgang Schäuble.

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