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Politik: Entscheidung rückwärts

Teile der französischen Sozialisten machen Stimmung gegen EU-Verfassung

Ein Teil der französischen Sozialisten hat eine europapolitische Kehrtwende vollzogen. Was sich beim Parteitag der Sozialistischen Partei (PS) zum Ende der Sommerferien abzeichnete, ist nun offenbar klar: Rund 65 Prozent der Sozialisten sind gegen die von den EU-Regierungschefs unterschriebene Europäische Verfassung und bereiten ihre Anhänger sowie die französischen Wähler in einer Medienkampagne auf die Ablehnung der Konstitution bei der im zweiten Halbjahr 2005 geplanten Volksabstimmung vor. Anführer der „Nein-Sager“ ist der frühere Wirtschafts- und Finanzminister Laurent Fabius. Fabius ist die „Nummer zwei“ der Sozialisten und parteiinterner Rivale von PS-Chef Francois Hollande, der unermüdlich für die Verabschiedung der EU-Verfassung wirbt. Beide wollen Kandidat für die 2007 stattfindenden Präsidentschaftswahlen werden.

Nur die Erfüllung von vier Forderungen, die Fabius bei einem Fernsehauftritt an Staatspräsident Jacques Chirac stellte, könne ihn zu einem „Ja“ bewegen, sagt Fabius. Dazu gehören die Reform des Stabilitätspaktes, der in Fabius Augen die einzelnen EU-Mitglieder in ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik zu sehr einengt, strengere, europaweite Regeln zur Schaffung von Beschäftigung und damit einheitliche Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit, die Erhöhung des Europa-Budgets, eine gemeinsame Steuerpolitik zur Vermeidung von Firmenverlagerungen in Mitgliedsländer in Osteuropa und der Schutz nationaler Öffentlicher Dienste wie der Stromversorger und der Telekommunikationsunternehmen, die Fabius von europaweiten Privatisierungen ausschließen will.

Entsetzt über den Wandlungsprozess des einst eher konservativ-linken Politikers Fabius sind vor allem die Sozialisten selbst. Nach der Niederlage von Lionel Jospin bei den Präsidentschaftswahlen 2002 zugunsten der absoluten Mehrheit der bürgerlichen Chirac-Partei UMP und zwei überraschenden Wahlsiegen bei den Regional- und Europawahlen in diesem Jahr können sie eine Spaltung in den eigenen Reihen nicht brauchen. Absolut „nicht witzig“, so ein Parteimitglied, finden die Sozialisten auch die Tatsache, dass sie sich aufgrund des „Nein“ von Fabius und seinen Anhängern auf einer Linie mit Kommunisten, Linksextremen, den wenigen Ultrakonservativen der UMP und sogar den Rechtsextremen von Jean-Marie Le Pen befinden. Selbst die „Grünen“ in Frankreich, sind – bis auf wenige Ausnahmen – für die Annahme der EU-Verfassung und amüsieren sich über den Krach bei den Sozialisten.

Schadenfreude und Kritik löst die PS-Krise bei der Regierungspartei UMP aus. Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy, künftiger UMP-Parteichef und voraussichtlicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2007, bezeichnete die Fabius-Entscheidung als „historischen Irrtum“ und fragte sich in „Le Monde“, wie Frankreich dastehe, wenn es den europäischen Prozess stoppen würde. Noch deutlicher wurde ein Chirac-Vertrauter: „Wir lassen uns nicht in das Ping-Pong-Spiel der Sozialisten hineinziehen, im Grunde geht es um nichts anderes als einen Konkurrenzkampf zwischen Fabius und Hollande.“

Sabine Heimgärtner[Paris]

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