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Politik: Enttäuschung bei EU-Neulingen über "Egoismus der Reichen"

Mehrere neue EU-Mitgliedstaaten haben sich enttäuscht über die Haltung der westeuropäischen Staaten beim gescheiterten Brüsseler EU-Gipfel gezeigt. Politiker der EU- Neulinge, die mit einem Verzichtsangebot die wesentlich reicheren Staaten zu einem Kompromiss in der Haushaltsfrage bewegen wollten, reagierten mit Unverständnis auf die Haltung der "alten" Union.

Warschau/Prag/Budapest (18.06.2005, 16:56 Uhr) - Der polnische Regierungschef Marek Belka sagte, Schuld am Scheitern des Gipfels trage der «Egoismus in den reichen Staaten der EU».

Er habe mit seinem Angebot auf den Verzicht einiger von Polen erhoffter Leistungen kurz vor dem Scheitern des Gipfels zeigen wollen, dass für die Polen Europa nicht nur «ein Berg voller Geld« sei, meinte er am Samstag nach seiner Rückkehr nach Warschau. «Wir wollten jenen Ländern, die eine Einigung verhinderten, weil sie bis zum Letzten auf ihrem Standpunkt beharrten, ein Beispiel geben», betonte auch der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany.

In der EU herrsche eine Krise, aber es sei keine Krise der Institution, betonte Belka. Es sei nicht ungewöhnlich, 18 Monate vor Ablauf des aktuellen Haushalts kein neues Budget fertig zu haben. «Was beunruhigend ist, ist die Atmosphäre unter den Menschen», sagte Belka. «Wir brauchen nicht nur Nachdenklichkeit, wir brauchen eine aktive, ernsthafte Debatte. Europa braucht zudem Führung.»

Der tschechische Ministerpräsident Jiri Paroubek sagte, die EU habe offenbar «ihre Erweiterung noch nicht verkraftet». Der Abbruch der Verhandlungen sei «eine große Enttäuschung», unterstrich der Sozialdemokrat: «Was Tony Blair hier aufgezeigt hat, führt zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten.» Außenminister Cyril Svoboda sagte, die EU stehe nun vor der Frage, «ob sie nur auf der Basis eines gemeinsamen Marktes existieren oder eine politische Dimension behalten möchte, die das Prinzip der Solidarität anerkennt».

Enttäuscht zeigte sich auch der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany. «Allen Anzeichen nach ist Europa müde», sagte der Regierungschef der ungarischen Nachrichtenagentur MTI zufolge in der Nacht zum Samstag in Brüssel. «Seine alten Ideale beflügeln es nicht mehr, hinsichtlich neuer Ideale ist es verunsichert.» Die Union sei «unfähig, die Frage zu beantworten, wie man wettbewerbsfähig werden und dabei seine soziale Kohäsion bewahren kann».

Der litauische Ministerpräsident Algirdas Brazauskas bedauerte: «Leider waren einige Länder nicht bereit zu Kompromissen, deshalb musste die Entscheidung verschoben werden.» In Estland setzte Ministerpräsident Andrus Ansip auf Zeit: «Die EU braucht im Moment Zeit zur Selbstkritik, weil die zwei "Nein"-Entscheidungen aus Frankreich und den Niederlanden die öffentliche Meinung stark beeinflusst haben», sagte er im staatlichen Fernsehen ETV. (tso)

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