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© photothek

Entwicklungshilfe: Dirk Niebel: Eins auf die Mütze

Dirk Niebel sei ein Rambo, sagen manche in Deutschland – und schlagen zurück. Doch im Ausland gibt sich der Entwicklungsminister ganz diplomatisch.

Von Hans Monath

So ähnlich muss es auch im untergegangenen Ostblock zugegangen sein, wenn hoher politischer Besuch kam. Vor einer ganzen Phalanx stummer kambodschanischer Regierungsmitglieder steht Vizepremier Keat Chhon in einem gut gekühlten Raum seines Wirtschaftsministeriums in Phnom Penh und liest eine Rede auf die deutsch-kambodschanische Freundschaft vom Blatt. 13 quälend lange Minuten dauert der Monolog des alten Mannes mit Goldrandbrille. Der blonde, kräftige Besucher neben ihm knetet derweil mit seinen Fingern ausgiebig den goldenen Füller, mit dem er gerade den Vertrag über weitere deutsche Hilfszahlungen für das Entwicklungsland unterzeichnet hat. Davon sollen unter anderem neue Straßen gebaut werden.

Nach dem Höflichkeitsapplaus für den kambodschanischen Vizepremier ist Dirk Niebel selbst an der Reihe. Der deutsche Entwicklungsminister, der gern schnell zur Sache kommt, braucht nur einen Bruchteil der Zeit, die sein Vorredner sich genommen hat. Die nutzt er für eine deutliche Botschaft an seine Gastgeber, die sich zwar zur Demokratie bekennen, in Wirklichkeit aber Oppositionspolitiker mit dem Strafrecht verfolgen, die Presse knebeln und nach Meinung mancher Beobachter auf einen Einparteienstaat zusteuern. Deutschland wolle mit seiner Hilfe Kambodscha auf dem Weg zur Demokratie unterstützen – und dazu gehöre auch, „das Volk auf diesem Weg mitzunehmen“. Über solche Fragen zu sprechen, habe er gerade „sehr offen die Gelegenheit“ gehabt, sagt Niebel. Der Vizepremier und die Dutzende von kambodschanischen Regierungsmitgliedern hören der Übersetzung mit ausdrucksloser Miene zu. Die Gastgeber seien in dem Gespräch davor „überrascht von der Deutlichkeit der Ansprache“ gewesen, hätten aber einen Dialog über Menschenrechte keineswegs verweigert, sagt Niebel später.

Es ist eine interessante Erfahrung, Dirk Niebel eine Woche lang auf seiner zweiten großen Auslandsreise als Minister in Vietnam und in Kambodscha zu begleiten und dabei einen Politiker im Lernstadium zu erleben. Sein Auftreten in Südostasien, das zwischen Deutlichkeit und Etikette genau austariert ist, entspricht überhaupt nicht dem Image des Politikers in Deutschland. In Berlin nämlich genießt der 46-jährige frühere FDP-Generalsekretär mittlerweile den zweifelhaften Ruf eines politischen Rambos. Und dazu hat niemand mehr beigetragen als der bekennende Rugby-Fan selbst. Der noch ziemlich unbekannte liberale Minister machte vor allem wegen seiner martialischen Kopfbedeckung von sich reden, die er auf seiner ersten Afrikareise Anfang des Jahres zur Schau stellte: Der langjährige Berufssoldat setzte sich dort eine voll verspiegelte Sonnenbrille auf und eine Gebirgsjägerkappe auf den Kopf, die er seither als sein Markenzeichen preist. Auf diesen Military-Look, so betont er stur, wolle er auch künftig „in unwirtlichen Gebieten außerhalb von Gebäuden“ nicht verzichten.

Niebels Berufung als Chef des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) war die verblüffendste Personalentscheidung der schwarz-gelben Regierung: Seine Partei hatte das Ministerium mit seinem Etat von knapp sechs Milliarden Euro schließlich vor der Wahl abschaffen und dem Auswärtigen Amt zuschlagen wollen. Und der neue Minister gab sich von Anfang an alle Mühe, die mehrheitlich links orientierte entwicklungspolitische Szene zu schocken: Wenn deutsche Hilfsorganisationen in Afghanistan nicht mit der Bundeswehr kooperierten, müssten sie sich „andere Geldgeber suchen“, polterte er.

Die strenge Trennung von Entwicklungshilfe und Förderung deutscher Firmeninteressen, auf die Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) großen Wert legte, erklärte er für überholt. Deutsche Arbeitsplätze sind für den Neuen im BMZ wie die Achtung der Menschenrechte ein wichtiges Argument. Völlig unverständlich ist Kritikern schließlich, warum ein Entwicklungsminister eine Finanztransaktionssteuer strikt ablehnt, mit der seine Aufgaben bezahlt werden könnten. Sogar die Kanzlerin wirbt für das Instrument.

Als Niebel auch noch Schlüsselpositionen im BMZ mit alten Weggefährten aus der FDP und aus der Bundeswehr besetzte, schäumte die Opposition über eine angebliche Selbstbedienungsmentalität der Liberalen. Der neue Minister aber hielt es für eine gute Idee, seinen Golden Retriever „Hermann“ auf einer Internetseite mit Militärkappe und Sonnenbrille abzulichten. Das entsprach zwar dem Humor des im Umgang mit anderen Menschen gern kumpelhaften Politikers – wurde von seinen Kritikern aber als Verhöhnung empfunden.

So stur blieb Niebel seinem ruppigen Stil treu, dass inzwischen auch unstrittig vernünftige Vorschläge des Ministers in der Öffentlichkeit schnell als Unsinn abgetan werden. Das gilt vor allem für seinen Plan, die verkrusteten, ineffektiven Strukturen der deutschen Entwicklungspolitik neu zu ordnen und die wichtigsten Organisationen zusammenzulegen, die mit Steuermillionen in den Empfängerländern konkrete Projekte organisieren und begleiten. Ein ähnliches Ziel hatte auch seine Vorgängerin Wieczorek-Zeul (SPD) verfolgt, war aber daran gescheitert.

Kaum war Niebel zwei Tage in Südostasien unterwegs, musste er am Dienstag in Vietnam wieder gegen schlechte Schlagzeilen in Berlin anreden. Die Opposition zu Hause warf ihm vor, er wolle auf Kosten der Steuerzahler zur Fußball-WM nach Südafrika reisen. Und von einer Zerschlagung der Gesellschaft für technischen Zusammenarbeit (GTZ), mit 13 000 Mitarbeitern die wichtigste Vorfeldorganisation der Entwicklungshilfe, war die Rede. Schließlich war da auch noch ein Interview, in dem der Minister das EU-Ziel relativiert, die Mittel für Entwicklungsländer bis zum Jahr 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Das brisante Interview und die angeblichen Zerschlagungspläne schafften es sogar in die ARD-„Tagesthemen“. Bericht und Kommentar fielen vernichtend aus.

Der Minister und seine Mitarbeiter in Vietnam reagieren sichtlich angefasst auf die schlechte Presse daheim. „Wenn ich ohnehin weiß, dass ich kritisiert werde, egal, was ich mache, dann mache ich gleich das Richtige“, raunzt Niebel am Abend. Am Rande eines Empfangs in der deutschen Botschaft in Hanoi bekennt er sich bei einem eilig angesetzten Pressestatement zum 0,7-Prozent-Ziel und bemüht sich, die These von der Zerschlagung der GTZ aus der Welt zu schaffen. Und tatsächlich erhält er für seinen Reformplan auch öffentlichen Zuspruch von den Chefs jener Organisationen, um deren Zukunft es geht. Dass die politische Lenkung der gegenwärtig völlig unübersichtlichen Entwicklungshilfe gestärkt werden muss, sagt schließlich auch die Opposition.

Selbst im Hintergrundgespräch bleibt unklar, ob Niebel nicht spürt, dass sein sorgsam gepflegtes Rambo-Image seine ehrgeizigen Reformpläne gefährdet. Gleich am ersten Tag seiner Reise aber hat er im Regierungs-Airbus „Theodor Heuss“ vor Journalisten deutlich gemacht, dass er seinem Stil, der zur Konfrontation förmlich einlädt, treu bleiben will. Die Mütze werde selbstverständlich auch auf dieser Reise in Asien zum Einsatz kommen: „Ich liebe die Mütze.“

Es ist paradox: In Vietnam und Kambodscha gibt der Minister sich alle Mühe, seine für die Machthaber provokante Forderung nach Menschenrechten deutlich auszusprechen, aber im Ton nicht zu überziehen und einen Gesichtsverlust der Gastgeber zu vermeiden. Auf die Empfindsamkeiten der politischen Öffentlichkeit in Deutschland und der entwicklungspolitischen Szene nimmt er weniger Rücksicht. Und am letzten Tag seiner Reise in Kambodscha produziert der FDP-Politiker stur wieder genau jene Fernsehbilder, die das Klischee vom Rambo bestätigen.

Als der Tross des Ministers im Dorf Yeang im Distrikt Pouk mittags aus den Autos steigt, brennt die Sonne vom Himmel. Niebel rinnt der Schweiß die Schläfen hinunter. Er setzt seine Mütze auf, schreitet auf die wartenden Kleinbauern zu, die mit deutscher Hilfe bessere Ernten erzielen wollen. Die Kappe auf dem Kopf, faltet er die Hände zum landestypischen Gruß. Immerhin: Die voll verspiegelte Sonnenbrille, die Niebel im Flüchtlingslager im Kongo so furchterregend aussehen ließ, ist zu Hause geblieben.

Auf dem Rückweg in die Stadt Siam Reap hält die deutsche Kolonne kurz hinter dem Dorf Yeang an einer Baustelle. Neugierig schauen die Kambodschaner, die mit Bulldozern eine Lehmpiste zur Straße auswalzen. Deutschland gibt Geld für das Projekt, das auch den Bauern von Yeang den Weg zum nächsten Markt erleichtern soll. Die deutschen Fotografen haben einen Wunsch: Der Minister soll sich ins Führerhaus einer der schweren Maschinen setzen. Aber der Politiker schüttelt den Kopf. „Ich weiß schon, welche Schlagzeilen das gibt“, meint er: „Niebel als Dampfwalze in Asien.“ Fast klingt es, als ob der Entwicklungsminister beginnt, an seinem Auftreten zu arbeiten.

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