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Entwicklungshilfe: Hilflose Helfer in Afghanistan

Viele gut gemeinte Entwicklungsansätze in Afghanistan laufen ins Leere – auch des Militärs wegen.

„Wir hören, dass moderne US-Flugzeuge eine Maus zielgenau im Dunkeln treffen können“, sagt Homayoun, ein afghanischer Übersetzer. „Warum können sie mit denselben Sichtgeräten nicht zwischen Bewaffneten und unbewaffneten Zivilisten unterscheiden? Das macht die Menschen misstrauisch.“ Fünf Tage nach den jüngsten Kämpfen zwischen US-Militär und Taliban in der Provinz Farah, im Westen Afghanistans nahe der Grenze zu Iran, ist der Hergang der Ereignisse weiter unklar. Afghanische Parlamentarier, Rotes Kreuz und Zivilbevölkerung werfen dem US-Militär unverhältnismäßige Luftangriffe vor. Das US-Militär behauptet, Taliban hätten sich unter die Bevölkerung gemischt und etliche Zivilisten getötet. Es wird vermutlich Wochen, wenn nicht Monate dauern, bis ein Untersuchungsbericht vorliegt. Unabhängig wird er kaum sein, wie ein ähnlicher Vorfall im letzten Jahr gezeigt hat. „Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden“, hat US-Präsident Obama verlauten lassen. Gleichzeitig schickt seine Regierung 20 000 weitere US-Soldaten, die nach Angaben Washingtons den Kampf auch in andere Provinzen tragen sollen.

„Der Druck auf mich wird immer größer. Als Afghane, der mit Ausländern zusammenarbeitet, bringt mich der jüngste Vorfall in Lebensgefahr“, sagt Homayoun. Der 30-Jährige arbeitet für die wenigen US-amerikanischen zivil-militärischen Entwicklungshelfer, die noch in der Provinz sind. Viel mehr als zwei Dutzend sind es nicht. „In ganz Farah, einer Provinz ähnlich groß wie Bayern, gibt es abgesehen von den wenigen zivilen Helfern im Militärcamp keine Ausländer mehr“, bestätigt auch Nasim, der vier Jahre lang für eine deutsche NGO hier gearbeitet hat. Mittlerweile hat sich die deutsche Hilfsorganisation aus der Region zurückgezogen. Weniger aus Angst vor Taliban, sondern nicht zuletzt wegen negativer Erfahrungen mit dem US-Militär, das für einen Schulbau Geld gab. Weil die Amerikaner martialisch zu einer Baubesichtigung aufkreuzten, fühlte die deutsche Hilfsorganisation ihren Auftrag bedroht, neutral aufzutreten.

Homayoun arbeitet für Cathlyn. Sie ist kaum älter als er und eine der wenigen zivilen Helferinnen im amerikanischen Wiederaufbauteam in Farah. Jedes Mal, wenn sie das Militärlager verlässt, wird sie von 15 schwer bewaffneten Bodyguards begleitet, erzählt sie. Sie selbst trägt eine gepanzerte Schutzweste, die sie am liebsten gar nicht anlegen würde. Aber dies sind die Vorschriften ihres Arbeitgebers, der staatlichen Entwicklungshilfeorganisation USAid, mit dem sie einen 72-Tage-Vertrag hat. In dieser Zeit soll sie als „Gender-Expertin“ Projekte auf den Weg bringen, die die Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft stärken. Textilien, die 50 Frauen einer Kooperative in Farah herstellen, müssen verkauft werden. Cathlyn reist offenbar mit geringer Marktanalyse in die Nachbarprovinzen. In Herat, wo sie einen Absatzmarkt zu finden hofft, treffen wir aufeinander.

Im Laufe des Gesprächs wird der Widerspruch offensichtlich zwischen der Menge Geld, über die sie für ihren Auftrag verfügt, und der Not, dieses Budget in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung steht, sinnvoll zu verplanen. „I am here to make a difference“, „ich will etwas bewegen“ – sie sagt, was man immer wieder von Helfern in Afghanistan hört. Was sie tatsächlich bewegen kann, ist unklarer denn je. Nach den jüngsten Demonstrationen in Farah-Stadt wird, das lässt sich unschwer prognostizieren, das Ausgangsregime auch für sie erst einmal verschärft, wie immer in solchen Fällen.

Nasim, der nach den Erfahrungen für die deutsche NGO von Farah nach Herat übergesiedelt ist, ist überzeugt: „Für 4000 oder 6000 Dollar lassen sich hier erfolgreiche Projekte bauen, die den Menschen helfen und ihre Eigeninitiative fördern.“ Dem US- wie dem Nato-Militär wie auch der afghanischen Regierung gelinge dies aber häufig nicht. „Tatsächlich gibt es große Verständigungsschwierigkeiten“, bestätigt Cathlyn. „Wenn wir ein Projekt vorstellen und die Antwort darauf bekommen, klingt sie manchmal wie auf einen ganz anderen Vorschlag gemünzt.“

Die Ausdünnung von internationalem wie nationalem Hilfspersonal in Farah ist nicht zuletzt der veränderten Sicherheit geschuldet. Afghanische Helfer gehen davon aus, dass mittlerweile die Mehrheit der Distrikte der Provinz Farah „in Händen von Taliban“ seien, wie Homayoun sagt. Wer aber ist ein Talib? Der Begriff werde inflationär benutzt, ohne dass es eine klare Definition gebe. „Es gibt jene, die das Entführungsgeschäft betreiben“, zählt er auf, „zweitens Diebe und Räuberbanden, die Straßensperren errichten und Passanten ausrauben. Drittens Gruppen, die gegen die Regierung und die Präsenz von Ausländern in Afghanistan sind, auch gegen mich als Übersetzer.“ Die Arbeitslosigkeit verschaffe den Taliban allenthalben Zulauf.

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