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Entwicklungshilfeminister Gerd Müller im Flüchtlingscamp Tomping im Südsudan.

© Thomas Trutschel/photothek.net

Entwicklungsminister Gerd Müller: "Hier blickt man in die Hölle Afrikas"

Gerd Müller im Südsudan: Vor einer Woche noch witzelte er am Rednerpult: "Afrika ist und wird ein Kontinent der Jugend sein. Nicht wie das Parlament hier!" Nun aber ist dem Entwicklungsminister nicht mehr nach Scherzen zumute, denn es hat ihn mitten hinein nach Afrika verschlagen. Die Sonne brennt vom Himmel, es ist heiß, es stinkt. Der CSU-Politiker will eine Wende der deutschen Entwicklungspolitik: weniger Militär, mehr Zivil.

Von Hans Monath

Im Bundestag hat er mit seinem Lieblingsthema noch einen Scherz gemacht. Freitag vor einer Woche stand Gerd Müller im Reichstag am Rednerpult und schwärmte vom neuen Hoffnungskontinent. „Afrika ist und wird ein Kontinent der Jugend sein“, rief der Entwicklungsminister, der jetzt 100 Tage im Amt ist.

Er schaute ins Plenum, wo die in die Jahre gekommenen Abgeordneten saßen, und fügte hinzu: „Nicht wie das Parlament hier!“ Als ihn Unionsfraktionschef Volker Kauder deshalb spaßeshalber ermahnte („Jetzt ist aber die Grenze überschritten“), nahm der CSU-Politiker die Provokation mit einem ironischen Schlenker zurück.

Nun aber ist dem Minister nicht mehr nach Scherzen zumute, denn es hat ihn mitten hinein nach Afrika verschlagen. Die Sonne brennt vom Himmel, es ist heiß, es stinkt.

Müller steht auf einem wackelnden Holzbalken über einem Abwasserkanal, um ihn herum drängt sich eine beängstigend große Zahl von afrikanischen Kindern und Männer, nepalesische UN-Blauhelmsoldaten, Journalisten und schwer bewaffnete deutsche Bodyguards mit undurchsichtigen Sonnenbrillen.

Alle schwitzen. Der Gast aus Deutschland hat eben eine Tour durch das Flüchtlingscamp Tomping neben dem Flughafen der südsudanesischen Hauptstadt Dschuba hinter sich.

Für alles hat er sich interessiert und Zeit genommen. Hat sich gebückt, um unter die aufgespannten Plastikplanen zu schauen, kleinen Kindern über den Bauch gestrichen und Männer mit verschlossenen Gesichtern und Narben auf der Stirn gefragt, ob ihre Familien die Kämpfe im Dezember überlebt haben und wann sie wieder nach Hause können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen. „You are not forgotten here“, versichert ihnen der Gast aus Deutschland, bevor er sich umdreht: „Sie sind hier nicht vergessen.“

Wo die Not am größten ist

Dabei hat der 58-Jährige genau gewusst, was ihn erwartet. „Ich gehe dahin, wo die Not am größten ist und das Elend zum Himmel schreit“, hat er im Regierungs-Airbus vor der Landung in Dschuba angekündigt.

Im Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas, brachen Ende des Jahres schwere Kämpfe zwischen dem Präsidenten und seinem Stellvertreter aus, mehrere zehntausend Menschen wurden getötet. Hunderttausende flohen vor der Gewalt, vegetieren seither in UN-Camps oder schlimmeren Orten vor sich hin. Das Land ist geteilt, die Konfliktparteien zeigen wenig Willen, einen Ausgleich zu suchen.

Dabei ist der Sudan mit seinen riesigen Ölvorkommen so reich, dass er alle ernähren könnte. Doch im Lager Tomping leben nun 21 000 Flüchtlinge, die meisten aus der Umgebung, auf einer Fläche, die für so viele Menschen viel zu klein ist und die auch die UN mit bestem Willen nicht zu einem lebenswerten Ort machen kann.

„Hier blickt man in die Hölle Afrikas“, sagt Müller, „ich habe nichts Schlimmeres gesehen.“ Im Landesinneren des Staates, der so groß ist wie Frankreich, warnt er, sei die Lage in den Flüchtlingscamps noch weit dramatischer. Und die Regenzeit beginnt gerade erst, in der die Lehmpisten unpassierbar werden, die Kloaken in den Flüchtlingscamps verstopfen, das Wasser aus den offenen Kanälen dann die Fäkalien in die Zelte schwemmt.

„Der Südsudan ist einer der schwierigsten Brennpunkte in der Welt, und er ist ein Stück weit in Vergessenheit geraten“, sagt der Minister mit der charakteristischen Reibeisenstimme und dem bayerischen Einschlag. Deshalb ist er von Berlin nach Dschuba 6000 Kilometer weit bis fast zum Äquator geflogen. Weil er helfen will. Und weil er die vergessenen Katastrophen ins Bewusstsein rücken will.

Nicht nur Milliarden für Soldaten in aller Welt

Es ist die dritte Reise des Ministers auf den Kontinent, dem er bei seiner Arbeit besondere Aufmerksamkeit widmen will. Noch etwas möchte er loswerden, bevor er das Lager verlässt. Bei UN-Einsätzen, sagt er, dürfe man „nicht nur die militärischen Optionen riskieren“, nicht nur Milliarden für Soldaten in aller Welt ausgeben – und sei der Zweck noch so edel. Mindestens ebenso viele Milliarden seien nötig, um zivile Strukturen gegen Hunger und Elend aufzubauen: „Ansonsten werden wir Krieg und Aggression nicht stoppen.“

Als nach Außenminister Frank-Walter Steinmeier rund um die Münchner Sicherheitskonferenz auch Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidungsministerin Ursula von der Leyen eine aktivere deutsche Außenpolitik forderten, in der auch die Bundeswehr eine größere Rolle spielt, jubelten die Leitartikler. Der 58 Jahre alte Politiker aber war alarmiert. Wer den Partnern deutsches Militär anbietet, so seine Rechnung, wird es bald in den Einsatz schicken müssen.

Seither verkündet er bei fast jeder Reise: Deutsche Kampfeinsätze soll es in Afrika nicht geben. Anschaulich kann er von den Strapazen der in seinem Kemptner Wahlkreis stationierten Sanitätssoldaten erzählen, die wegen der vielen Auslandseinsätze ausgebrannt sind. Aber es geht ihm auch um den Primat der Entwicklungspolitik.

Vom Südsudan flog der Minister deshalb nach Mali weiter. Das Land hält er für ein Beispiel, wie nach einer Phase des Chaos Entwicklungshelfer innerhalb kurzer Zeit einen Staat stabilisieren und beim Aufbau von Gesellschaft und Wirtschaft helfen können.

Als er Minister wurde, rieben sich viele die Augen

Ziemlich stur klingt Müller, wenn er über die Möglichkeiten deutscher Truppen im Ausland redet. Dass ein so besonnener deutscher Diplomat wie der Leiter der UN-Mission im Kongo, Martin Kobler, Kampfeinsätze, auch solche der Bundeswehr, in vielen Situationen für unumgänglich hält, um in Afrika Massaker zu verhindern und Leben zu retten, will er nicht gelten lassen. Stattdessen wiederholt der Minister immer wieder: „Ich habe nicht den Ruf nach deutschen Soldaten gehört.“

Als Gerd Müller im Dezember zum Minister ernannt wurde, da rieben sich erst einmal viele die Augen. Gerd Müller, ja gut, da gab es mal den Rekordtorschützen der Nationalmannschaft. Aber von einem Politiker mit diesem Namen hatten bis dahin nur wenige CSU- oder Agrarspezialisten gehört.

Denn Müller, der als Vertreter der Jungen Union in frühen Jahren einmal mit dem Ruf nach der Todesstrafe für Drogenhändler für einen Skandal sorgte, machte bei seinem Aufstieg ins Europaparlament und in den Bundestag keine Schlagzeilen mehr. Dem damaligen Agrarminister Horst Seehofer diente er dann als Staatssekretär. Wahrscheinlich würde man Müller unterschätzen, wenn man seine Art des Aufstiegs für unpolitisch hielte. Denn nicht nur mit lauten Worten und fernsehtauglichen Auftritten lässt sich die politische Kultur in diesem Land verändern.

Ein Zersetzer von Vorurteilen

Müllers Minister-Vorgänger Dirk Niebel war ein Politiker, der mit Lust und Wonne politische Vorurteile verstärkte. Müller dagegen ist ein Zersetzer von Vorurteilen – das aber machte er lange ganz still und abseits der großen Bühne. Von seiner manchmal etwas schwerfälligen Sprache sollte man sich nicht täuschen lassen. Der Bauernsohn kann sehr entschieden über seine eigenen Ziele reden.

Wer jedenfalls glaubt, ein gestandener CSU-Politiker und langjähriger Mitarbeiter von Horst Seehofer wie er müsse bei SPD und Grünen als Feindbild herhalten, sollte sich dort nur einmal umhören.

Da ist zum Beispiel seine Vor-Vorgängerin im Ministerium, die SPD-Linke Heidemarie Wieczorek-Zeul, die früher mit ihm im Europaparlament saß und sich freute, als sie von seiner Berufung erfuhr. „Ich schätze Gerd Müller sehr“, sagt sie heute. Dass den Allgäuer Politiker „eine Leidenschaft für das Thema Entwicklungszusammenarbeit und die Menschen in den Partnerländern“ umtreibt, findet die frühere Juso-Chefin großartig. Wer Müller von seinen Aufgaben und seinen Begegnungen erzählen hört, verspürt tatsächlich so etwas wie einen heiligen christlichen Ernst, der ihn anzutreiben scheint.

Dann ist da noch die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die auf viele in der CSU immer noch wie ein rotes Tuch wirkt. „Gerd Müller und ich kommen beide aus dem Allgäu, das verbindet“, meint sie. Sie schätzt am neuen Minister, dass er die Menschenrechte und den globalen Ausgleich immer im Blick hat. „Und dass er nie einer dieser CSU-Hardliner war, der im ideologischen Schützengraben sitzt, sondern immer die faire Auseinandersetzung pflegt.“

In seinem Haus sehen das viele ähnlich. Überraschend schnell hat er losgelegt, das Erbe seines Vorgängers entsorgt („Hier sitzt Müller, nicht Niebel“) und neue Schwerpunkte vorgegeben. Niebels Militärkäppis wurden entfernt, neue Ziele formuliert. Die heißen nun wieder Kampf gegen Hunger, gegen Klimawandel und für eine gute Gesundheitsversorgung. Dem Markt will Müller durch ökologische und soziale Regeln Schranken setzen. Das hat er angekündigt.

Der neue Wille zur Robustheit

Während der Personalrat unter Niebel sich nicht nur wegen dessen ungenierter Parteienwirtschaft bei Besetzung von Führungspositionen durch andere Liberale überfahren fühlte, praktiziert der Neue eine anderen Führungsstil und lädt die Mitarbeiter ein, Vorschläge zu machen. Viele hat er auch übernommen.

Das Thema, das Müller gar nicht loslässt, ist der neue Wille zur Robustheit in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, für das Kabinettskollegin Ursula von der Leyen ständig neue Anstöße liefert. Mit Genugtuung hat er deshalb zur Kenntnis genommen, dass Parteichef Seehofer kürzlich der in der CSU traditionell ungeliebten CDU-Kollegin widersprach und deutsche Kampfeinsätze in Afrika kategorisch ausschloss.

Wenn am kommenden Mittwoch das Kabinett tagt, wird Müller von der Kanzlerin aus gesehen ganz links am Rand sitzen, was er für ein bisschen ungerecht hält. Vielleicht ist er da zu empfindlich: Ihm gegenüber sitzt seine Gegenspielerin, die Verteidigungsministerin.

Wie das Ringen um die Rolle der Bundeswehr in der neuen deutschen Außenpolitik ausgeht, ist noch offen. Claudia Roth jedenfalls wünscht sich sehnlich, dass der Entwicklungsministers sich notfalls auch gegen die eigene Koalition stellt, etwa, „wenn er mehr Zivil statt Militär gegenüber der Verteidigungsministerin durchsetzen will“. Ob bei dieser Auseinandersetzung ausgerechnet Ratschläge aus der Opposition helfen, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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