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© Thomas Imo/photothek.net

Entwicklungsminister: Niebel in Neuland

Der Entwicklungsminister besucht Afrika – und findet in Ruanda einen Präsidenten, der seine Ideen mag.

Dirk Niebel betritt Neuland. Schon wieder. Zum Entwicklungsminister wurde er überraschend – seitdem arbeitet er sich ein. Und nun Afrika, die erste Begegnung hautnah, mit der Realität deutscher Entwicklungszusammenarbeit vor Ort. Am Freitagmorgen landete der ehemalige FDP-Generalsekretär in Ruandas Hauptstadt Kigali. Einen Schock kann der erste Eindruck dieses Afrikas kaum auslösen: das Wetter wie an einem warmen deutschen Frühlingstag, die Straßen sauber, der Verkehr gesittet.

Manch einer sagt, Ruanda sei gar nicht „richtig“ Afrika. Dafür, Erfolge zu präsentieren, ist es gut: Allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, Krankenversicherung und eine Rentenkasse, die Wirtschaft wächst beachtlich, Korruption wird hart bestraft. Das „richtige“ Afrika wartet hinter der Westgrenze: Die nächste Station Niebels ist der Ostkongo, der beherrscht wird von einem Bürgerkrieg, von Morden, Vergewaltigungen und Vertreibungen unter den Augen von rund 18 000 UN-Soldaten. Es ist der größte Einsatz in der Geschichte der UN. In der Region um Goma steht der Besuch eines Flüchtlingslagers auf dem Programm. Und das erschüttert dann vielleicht doch.

Zunächst aber Kigali. Teilnehmer der Briefings nehmen die Atmosphäre als offen wahr, den Minister als interessiert. Die Landesdirektorin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) sitzt in dem nagelneuen Konferenzsaal neben dem Büroleiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), und vielleicht fragen sie sich im Stillen, wer von beiden in ein, zwei Jahren noch übrig sein wird. DED und GTZ soll es bald in der jetzigen Form nicht mehr geben: Niebel strebt eine Fusion der beiden Organisationen an. In Deutschland hat sich Niebel für den Plan wenig Beifall eingehandelt.

Bei Ruandas Staatschef Paul Kagame dagegen, der Niebel im Präsidialamt empfängt, rennt er mit seinem „Wirtschaftsbeziehungen statt Almosen“-Ansatz offene Türen ein. Der ambitionierte Präsident ist bekannt dafür, die klassische Entwicklungshilfe des Westens als nicht hilfreich für Afrika zu kritisieren. Faire Handelsbedingungen, Investitionen und Partnerschaften auf gleicher Augenhöhe hält er für zielführender, um Abhängigkeiten zu beseitigen und die Wirtschaft anzukurbeln. Fast die Hälfte von Ruandas Staatshaushalts wird von ausländischen Gebern finanziert. Ziel des Landes sei es, „möglichst schnell frei von fremder Hilfe zu werden“, sagt Niebel nach dem Gespräch mit Kagame. Und dieses Ziel unterstütze Deutschland. Der Minister wiederholt sein Credo der Entwicklungszusammenarbeit, die sich – bestenfalls – selbst überflüssig machen müsse. Eine neue Politik ist das nicht: Hilfe zur Selbsthilfe ist schon seit Jahrzenten das übergeordnete Motto.

Kagame lobt seinerseits die guten Beziehungen seines Landes mit der ehemaligen Kolonialmacht Deutschland, die Freundschaft, die man fortsetzen wolle. Das traditionell gute Verhältnis hat sich offenbar von dem Knick im Herbst 2008 erholt. Damals war Kagames Protokollchefin Rose Kabuye auf einen von Frankreich erwirkten europäischen Haftbefehl hin in Frankfurt am Main festgenommen worden. Die Folge waren anti-deutsche Demonstrationen in Kigali und die Ausweisung des deutschen Botschafters aus Ruanda. Kabuye wurde beschuldigt, 1994 am Abschuss des Flugzeugs beteiligt gewesen zu sein, in dem Ruandas damaliger Präsident Juvenal Habyarimana saß. Das Ereignis war der Startschuss für den Genozid, bei dem rund eine Million Menschen starben. Mittlerweile hat Frankreich die Anklage fallen lassen, und die Protokollchefin begrüßte am Tag vor der Ankunft Niebels den französischen Außenminister Bernard Kouchner am Flughafen in Kigali.

Der Völkermord aber ist in die ruandische Geschichte eingebrannt wie der Holocaust in die deutsche. Es gehört zu den Pflichtterminen ausländischer Staatsgäste, die Gedenkstätte in Kigali zu besuchen, wo die Gebeine von 258 000 Opfern liegen. Noch immer werden Knochen gefunden und hier beigesetzt. Niebel legt einen Kranz auf einem der Massengräber ab und schließt die Augen. Schweigeminute. Einen ähnlichen Moment könnte es auch in Auschwitz oder Jerusalem geben. So neu ist das Neuland nicht in jeder Hinsicht.

Katja Dombrowski[Kigali]

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