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Politik: Entwicklungsministerin stärkt den Frauen in dem einst abgeschotteten Land den Rücken

Nur ein Schlitz für die Augen ist frei. Ansonsten sind die Frauen von Kopf bis Fuß in schwarzen Stoff gehüllt, darüber tragen sie einen weißen Kittel.

Nur ein Schlitz für die Augen ist frei. Ansonsten sind die Frauen von Kopf bis Fuß in schwarzen Stoff gehüllt, darüber tragen sie einen weißen Kittel. Hinter einem Vorhang steht ein einfacher gynäkologischer Stuhl, an einer handgemalten Schautafel an der Wand hängen Anti-Baby-Pillen, weiße und rote, daneben ist ein Diaphragma aufgeklebt und zuletzt ein verpacktes Kondom. Die Frauen sind Hebammen im Gesundheitszentrum des Dorfes Dhi Sufal, in der Nähe der jemenitischen Provinzhauptstadt Ibb.

Doch auf der Dorfstraße sieht es nicht so aus, als hätte sich die Zwei-Kind-Familie im Nordjemen durchgesetzt: Ein Meer von Kindern in Schuluniformen, fahnenschwingend, wartet auf den hohen Besuch aus Deutschland, das dieses Gesundheitszentrum mitfinanziert. Plötzlich wirbelt der Staub auf der ungeteerten Straße auf, etwa 20 Landrover mit Militäreskorte fahren vor, schließlich ragt ein roter Haarschopf aus der Menge: Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul betritt den Innenhof, gefolgt von Ingrid Matthäus-Maier, Vorstandsmitglied der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der entwicklungspolitischen Sprecherin der SPD, Adelheid Tröscher und der grünen Bundestagsabgeordneten Antje Hermenau. Die Männer der deutschen Delegation machen den Damen den Weg frei und tragen Akten.

Die emanzipierten deutschen Frauen besuchen ein Land, dessen Nordteil bis heute von kriegerischen Stämmen und Männern mit Krummdolch und Kalaschnikow geprägt ist. Bis zum Sturz des Imams 1962 war der Jemen völlig von der Welt abgeschnitten. Im Parlament sitzen genau zwei weibliche Abgeordnete, die nicht zufällig aus Aden kommen, der ehemaligen Hauptstadt des britisch kolonialisierten und später sozialistisch geprägten südlichen Landesteils.

Bevölkerung wächst rasant

Eines der Hauptprobleme des Landes, das zu den 22 ärmsten der Welt gehört, ist das extrem hohe Bevölkerungswachstum von 3,5 Prozent jährlich: Die Frauen bringen hier durchschnittlich 7,5 Kinder zur Welt, nur fünf Prozent der Frauen sind als berufstätig registriert. Schon heute sind 50 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahren. Gleichzeitig wird das Wasser knapp: In der Hauptstadt Sanaa sinkt der Grundwasserspiegel jährlich um sieben bis zehn Meter, in fünf Jahren, schätzen die Experten, wird es in dort kein Grundwasser mehr geben. Daher sind die Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eng miteinander verknüpft: Wasserversorgung und Familienplanung, Gesundheit und Bildung.

Gerade das Thema Familienplanung und Gleichberechtigung der Frauen trägt die kampferprobte Ministerin auch in den jemenitischen Bergen mit Verve vor. Sie lässt keine Chance aus, ihre offiziellen Gesprächspartner an die Rechte der Frauen zu erinnern. Der Direktor des Gesundheitszentrums im Dhi Sufal, Mohammed Attef, erklärt an einer Schautafel die Ziele der deutsch-jemenitischen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Erst als letzter Punkt taucht die Chancengleichheit für Jungen und Mädchen beim Zugang zu medizinischer Versorgung auf: Prompt unterbricht ihn Heidemarie Wieczorek-Zeul mit der Bemerkung, das dies unmöglich unwichtiger als die zuvor genannte Dezentralisierung sein könne. Mit einer scherzhaften Bemerkung zwingt sie ihn, das Pappkärtchen an der Schautafel von ganz unten nach ganz oben zu versetzen. Der Gouverneur von Taiz, Qadhi Ahmed Abdullah al Hajri, ein strahlender Mann mit Goldrandbrille, grauem Anzug und traditionellem Tuch auf dem Kopf, scheint da schon geschickter. Er trägt den deutschen Geldgebern ganz präzise Wünsche für die Ausweitung eines Abwasserprojekts vor. Und er betont im gleichen Atemzug, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit seinem Distrikt besonders sinnvoll sei, weil hier landesweit die meisten Frauen bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr ihre Stimme abgegeben hätten. Dafür gibt es wie erwartet Applaus von der deutschen Delegation. Doch als er dann kokettierend hinzufügt, dass ihm dieser Vormarsch der Frauen Angst mache, erwidert die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende nur knapp: "Das war in Deutschland auch mal so." Gelächter auf Seiten der jemenitischen Männer.

Für die jemenitischen Frauen aber ist allein schon der Besuch einer weiblichen Ministerin Rückenstärkung. "Ihr Besuch bringt für uns Frauen mehr als 1000 Worte zur Gleichberechtigung", glaubt Oras Sultan Naji, eine der beiden weiblichen Abgeordneten im Parlament. Die quirlige 38-Jährige aus Aden ist sicher, dass der Besuch Spuren hinterlassen wird, zumal die spontane, offene Art der südhessischen Politikerin gut ankomme. Auch bei einem Treffen mit jemenitischen Frauen im Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Altstadt von Sanaa wird deutlich, wie dankbar die engagierten Frauen für Solidarität sind. "Die rechtliche Situation von Frauen in Jemen ist zwar besser als in manchem anderen arabischen Land, insbesondere im Vergleich zu den Golfstaaten", sagt Wahiba Faraa, eine Ärztin, die vor Jahren eine Privatuniversität für Männer und Frauen in Sanaa gegründet hat. So gibt es das Recht der Frauen auf Scheidung, das in Ägypten gerade erst verabschiedet wurde, im Jemen längst. Traditionen und Gewohnheiten seien der wahre Feind der Frauen.

Das sieht auch die Abgeordnete Oras Naji so. Sie kämpft nicht gegen Kopftuch und Schleier, sondern sieht das Hauptproblem im mangelnden Selbstbewusstsein der Frauen. Die gelernte Ärztin und Professorin an der Universität von Aden trägt im konservativen Sanaa den Schleier, in ihrer Heimatstadt im ehemaligen Südjemen fallen ihr ihre langen braunen Haare über die Schultern. "Das Kopftuch ist für mich wie die Perücke der englischen Richter reine Arbeitskleidung", erklärt sie. Aus Höflichkeit gegenüber den Sitten im Norden trage sie dort das Kopftuch. Mehr Konzessionen macht sie nicht. Einen Tischnachbarn, der ihrer Empfehlung für bestimmte Speisen nicht folgen will, füttert sie mit sanfter Gewalt notfalls eigenhändig. Die These, dass die unter den Sozialisten im Südjemen vorangetriebene Emanzipation der Frauen seit der Wiedervereinigung systematisch zurückgeschraubt werde, teilt sie nicht. Nur die Briten hätten die Frauen und Mädchen gefördert, die Sozialisten hätten die Emanzipation zu einer reinen Phrase verkommen lassen. "Da wurde eine Arbeiterin aus einer Tomatenfabrik ins Pseudo-Parlament entsandt - mit Demokratie und Emanzipation hatte das nichts zu tun", argumentiert die unverheiratete Frau. "Winzige Verbesserungen" der Situation der Frau habe es seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1996 gegeben, stellt Wahiba Faraa fest, die damals dabei war.

Der Verantwortliche für die bilateralen Beziehungen im deutschen Entwicklungsministerium, Michael Bohnet, sieht das positiver: Seit der Konferenz von Peking könne man auch mit traditionell und konservativ geprägten Ländern offen über Familienpolitik reden. Vor zehn Jahren sei das undenkbar gewesen. "Damals hat die Entwicklungshilfe im Jemen Straßen gebaut."

Das Herzblut der Ministerin

Auch unter den Frauen der deutschen Delegation wird heftig über das Thema Frauen, Schleier und Emanzipation diskutiert. Die einen erinnern sich daran, wie mühsam sie sich ihre beruflichen Positionen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft erkämpft haben. Jeder Schleier auf der Straße verursacht ihnen Unbehagen und Gänsehaut. Andere versuchen, politisch zweifellos korrekter, das Phänomen in den kulturellen und historischen Kontext zu betten. Heidemarie Wieczorek-Zeul selbst glaubt schon, dass sie als Frau die Themen Gleichberechtigung und Familienplanung mit "vielleicht mehr Leidenschaft und Herzblut" vertreten kann als ein männlicher Amtskollege. Die Schülerinnen der Grundschule "Das Volk" in al-Huth bei Ibb jedenfalls wirken begeistert vom Auftritt der deutschen Ministerin. Auf die Melodie von "Bruder Jakob" singen sie zum Abschied: "Liebe Heidi, liebe Heidi, komm bald wieder, es war schön."

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