zum Hauptinhalt
Die Teilnehmer sitzen 08.06.11 in Berlin bei einer Sonderkonferenz der Länder- und Bundesministerien für Gesundheit und Verbraucherschutz zur Ehec-Krise im Saal.

© dapd

Epidemie: Reiner Tisch beim Ehec-Krisengipfel

In Magdeburg wird eine infizierte Gurke gefunden, der Krisengipfel in Berlin macht auf Harmonie. Wo stehen wir bei der Ehec-Epidemie?

Daniel Bahr versuchte es nach dem Krisengipfel mit einem Hinweis auf die Sangeskunst. In einem Chor, so sagte der Bundesgesundheitsminister, gebe es zwar viele Stimmen, aber dennoch Gleichklang. Er reagierte damit auf die Kritik, dass es beim Ehec-Krisenmanagement in den vergangenen Wochen zu viele Zuständigkeiten und entsprechende Verwirrung gegeben habe. Vielstimmigkeit, so die Botschaft, müsse kein Problem sein. Allerdings sollten sich die Behördensolisten am gelungenen Chorgesang gefälligst auch ein Beispiel nehmen.

Nur wenige Stunden nach dieser Mahnung erhob sich schon wieder eine neue Stimme. Aus dem Magdeburger Gesundheitsministerium wurde vermeldet, man habe erstmals den Ehec-Erreger gefunden, um den es beim aktuellen Ausbruch geht: den so genannten Stamm O104:H4. Doch umgehend wurde diese Meldung wieder zunichte gemacht. Denn trotz des Nachweises des Erregers auf der Gurke war nicht klar, wie er dorthin gelangt war. Die Gurke, die von einer Familie stammte, die an Ehec erkrankt war, lag seit über einer Woche in der Bio-Tonne. Für die Experten bedeutet das: Die Erregerquelle ist immer noch nicht ausgemacht. „Der Erreger könnte auch in der Biotonne erst auf die Gurke gekommen sein, zum Beispiel weil jemand etwas weggewischt hat und den Lappen dann in die Biotonne geworfen hat“, sagte Hanna Oppermann vom Landesamt für Verbraucherschutz in Sachsen-Anhalt dem Tagesspiegel. Die Fahnder untersuchten auch Supermärkte, in denen die Familie eingekauft hatte, fanden aber nichts.

In der „Task Force“ zur Krisenbewältigung in Berlin schüttelten die Experten die Köpfe: Wieso sind die Magdeburger dann überhaupt mit dieser Meldung an die Öffentlichkeit gegangen? Bei der Warnung vor spanischen Gurken oder den Sprossen aus Niedersachsen hätte man wenigstens mit der notwendigen Vorwarnung für den Verbraucher argumentieren können. Aber in diesem Fall?

Manöverkritik an übereilten Warnungen oder fehlender Koordination war gestern dennoch nicht angesagt beim dreistündigen Krisengipfel von Bund und Ländern im Berliner Hilton-Hotel, es ging um das entgegengesetzte Signal: Alle ziehen in der Ehec-Krise an einem Strang, handeln ebenso umsichtig wie verantwortungsbewusst und fahnden „konsequent und mit Nachdruck“ nach der Infektionsquelle. Das Treffen solle zeigen, „dass wir uns inhaltlich komplett einig sind“, sagte Verbraucherministerin Ilse Aigner. Amtlicherseits habe es keine widersprüchlichen Angaben gegeben. Und die „Spekulationen von irgendwelchen selbsternannten Experten“ habe man nicht zu verantworten. Er habe „keinen Anlass, an der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu zweifeln“, bekräftigte Gesundheitsminister Bahr. Und selbst EU-Verbraucherkommissar John Dalli, der die Deutschen zuvor noch zu besserer Zusammenarbeit mit ausländischen Experten gedrängt hatte, verzichtete auf den erhobenen Zeigefinger und äußerte sich „sehr beeindruckt“ von den Anstrengungen. Über mögliche Lehren aus der Krise müsse zwar gesprochen werden, sagte er – aber erst, wenn alles überstanden sei. Dies ist auch die Haltung von Bahr, der sich sehr wohl über das tägliche Ausposaunen von „Zwischenständen“ geärgert, intern auch die dadurch verursachte Verunsicherung der Bürger beklagt und deshalb eine „Strategie des besonnenen Agierens“ postuliert hatte. Auf sein Drängen hin findet sich am Ende des gemeinsamen Papieres nun zumindest die Absichtserklärung, die Zusammenarbeit zwischen EU, Bund und Ländern sowie den Gesundheits- und Lebensmittelüberwachern im Nachhinein „sorgfältig“ zu evaluieren – „gegebenenfalls auch mit den nötigen Konsequenzen“, wie der Minister betonte. Beim nächsten Treffen der Länderkollegen – voraussichtlich Ende Juni – werde man sich damit ausgiebig beschäftigen, hieß es.

Forderungen nach einer zentralen Infektionsschutz-Behörde erteilte Bahr jedoch eine Abfuhr. Es sei eine „typisch deutsche Diskussion“, dass jetzt wieder danach gerufen werde. Er erinnerte daran, dass es bis 1994 mit dem Bundesgesundheitsamt bereits eine solche Zentrale gegeben habe. Im Skandal um HIV-verseuchte Blutpräparate wurden die Zuständigkeiten damals jedoch aufgeteilt. Entscheidend sei, dass die Kooperation der verschiedenen Behörden funktioniere.

Das jedoch bezweifelt die Opposition – und sie kritisiert auch das Krisentreffen. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von „Show- und Scheinaktivitäten“. Und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, nannte es ein „Armutszeugnis“, dass sich die Minister aus Bund und Ländern erst fünf Wochen nach dem Infektionsausbruch zusammensetzten.

Die Infektionswelle sei der schwerste jemals beobachtete Ehec-Ausbruch in Europa, hieß es bei dem Treffen. Die Zahl der gemeldeten Todesfälle stieg auf 25. Bahr betonte, dass trotz rückläufiger Zahlen bei Neuinfektionen keine Entwarnung möglich sei. Allerdings gebe es Anlass zum Optimismus, „dass wir das Schlimmste bundesweit hinter uns haben“.

Es sei selbstverständlich, dass sich die Länder mit Behandlungsplätzen und spezialisiertem Personal gegenseitig unterstützten, versicherten die Minister. Und Bahr betonte, dass stark belastetete Kliniken keine finanziellen Nachteile zu fürchten hätten. Häuser mit vielen Ehec- Patienten könnten zusätzliche Vergütungen beantragen. Zuvor hatte der Verband der Universitätskliniken gefordert, alle Ehec-Fälle außerhalb des vereinbarten Budgets abrechnen zu dürfen.

Den Gemüsebauern wurden höhere Entschädigungen in Aussicht gestellt. Für ihre Umsatzeinbußen sollen sie nun 210 Millionen Euro statt der bisher vorgeschlagenen 150 Millionen Euro erhalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false