zum Hauptinhalt
Assange-Befürworter demonstrieren vor dem Gericht in London für seine Freilassung.

© REUTERS / Henry Nicholls

Er hat schon sein Testament geschrieben: Darum wird Wikileaks-Gründer Assange nicht ausgeliefert

Mit Blick auf die harschen Bedingungen in US-Gefängnissen hat ein Gericht die Auslieferung Assanges abgelehnt. Er soll depressiv und suizidgefährdet sein.

„Free Julian Assange“, brüllten die Demonstranten am Montagmorgen vor dem zentralen Londoner Kriminalgericht. Dieser Wunsch geht zwar einstweilen nicht in Erfüllung. Doch konnte der Wikileaks-Gründer am Montag in seinem Kampf gegen die US-Justiz einen bedeutenden Sieg verbuchen: Mit Blick auf die harschen Bedingungen in US-Gefängnissen lehnte die Londoner Bezirksrichterin Vanessa Baraitser die Auslieferung des 49-Jährigen ab.

Die Sicherheit des depressiven und suizidgefährdeten Aktivisten sei jenseits des Atlantiks nicht gewährleistet. Weil die US-Vertreter unmittelbar Berufung einlegten, bleibt Assange zunächst weiter in britischer Haft.

Die ersten 50 Minuten der mit monotoner Stimme vorgetragenen Urteilsbegründung hatten bei vielen Beobachtern den Eindruck der Beweisaufnahme im Herbst bestärkt: Nüchtern wog die erfahrene Juristin die diversen Argumente von Verteidigung und Anklage ab, am Ende schien alles für eine Auslieferung zu sprechen. Dann kam Richterin Baraitser auf Assanges Gesundheit zu sprechen.

Der Australier leidet am Asperger-Syndrom, einer Erkrankung des autistischen Spektrums, sowie an Depressionen. Vor knapp 30 Jahren wurde er in seiner Heimat wegen eines Selbstmordversuchs in einer psychiatrischen Klinik behandelt, in seiner Londoner Gefängniszelle wurde eine halbe Rasierklinge sichergestellt.

Beim katholischen Gefängnispfarrer habe der Gefangene um Absolution gebeten sowie kürzlich ein Testament aufgesetzt. Baraitser zitierte die Gutachten von vier Psychiatern, darunter Professor Michael Kopelman vom Londoner King's College: Assange leide an schweren Depressionen mit psychotischen Schüben.

Strenge Haftbedingungen in den USA

Ausführlich widmete sich die Richterin den „besonderen Behandlungsmethoden“, der Hochsicherheitsgefangene in den USA ausgesetzt sind. Dabei wird jeglicher Kontakt mit Mitgefangenen unterbunden, Sport findet in einem speziellen Käfig statt, pro Monat sind lediglich zwei private Telefonate möglich. Solche Bedingungen hätten „abträgliche Wirkung“ auf Assanges Gesundheit, die Auslieferung wäre deshalb falsch. „Ich ordne seine Entlassung an.“

Unbewegt wie zuvor nahm Assange – wie stets korrekt in dunklem Anzug und Krawatte gekleidet – das positive Urteil entgegen. Lediglich die dauernd knetenden Hände verrieten seine innere Anspannung. Hingegen weinte seine Lebenspartnerin Stella Moris vor Glück.

Julian Assange gilt als depressiv und suizidgefährdet. Deshalb entschied die Richterin gegen seine Auslieferung.
Julian Assange gilt als depressiv und suizidgefährdet. Deshalb entschied die Richterin gegen seine Auslieferung.

© AFP / Justin Tallis

Allerdings erhob die US-Regierungsvertreterin sofort Einspruch; beide Seiten hatten bereits vorab angekündigt, sie würden das Verfahren notfalls bis zum britischen Supreme Court und dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof ausfechten. Nun will Baraitser am Mittwoch entscheiden, ob Assange für die womöglich jahrelange Dauer weiterer Rechtsstreitigkeiten in Haft bleiben muss.

Assange drohen bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe in den USA

Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie „New York Times“, „Guardian“ und „Spiegel“, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Dadurch kamen Kriegsverbrechen amerikanischer Streitkräfte in Afghanistan und Irak ans Licht.

Assange soll die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben. Wikileaks bestreitet dies.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Dem 49-Jährigen drohen in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe; realistischer sei US-Regierungsvertretern zufolge eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren. Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Tätigkeit eines investigativen Journalisten hinausgegangen, sagte Baraitser.

Ausführlich zitierte sie die Distanzierungen von Assanges Methoden durch jene Medien, die anfangs intensiv und vertrauensvoll mit ihm zusammengearbeitet hatten. Auch sämtliche Einwände der Verteidigung gegen das Vorgehen der US-Strafverfolger wies Baraitser zurück.

Assange entzog sich Auslieferung wegen angeblicher Sexualdelikte

Assanges Taten würden auch nach englischem Recht Straftatbestände darstellen. Ein unfaires Vorgehen sei ebenso wenig erkennbar wie politische Einflussnahme durch US-Präsident Donald Trump. Die Verteidigung hatte darauf abgehoben, dass in der Amtszeit von Barack Obama bis Januar 2017 keine Auslieferung erwirkt worden war.

Erst unter Trump wurde das Verfahren angeschoben, in den vergangenen zwei Jahren reichten die amerikanischen Staatsanwälte mehrere zusätzliche Anklagepunkte nach. Der Beschuldigte hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordneten Auslieferung nach Schweden wegen angeblicher Sexualdelikte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um Asyl bat.

Erst nachdem in dem lateinamerikanischen Land ein Machtwechsel stattgefunden hatte, konnte Scotland Yard im April 2019 Assange in der Botschaft festnehmen. Anschließend verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsauflagen.

Seit gut einem Jahr sitzt er in Auslieferungshaft im Gefängnis Belmarsh. Weil dort auch viele islamistische Terroristen sitzen, wird der Bau gern als Hochsicherheitstrakt bezeichnet. Assange bewohnt aber eine Zelle im „normalen“ Gefängnis.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false