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Politik: „Er ist kein Ersatzkanzler“

Parteienforscher Raschke: Der neue Präsident muss sich von den Erwartungen Merkels befreien

Die CDUChefin Angela Merkel hat die Wahl von Horst Köhler zum Auftakt für den Machtwechsel stilisiert. Hat sie Recht?

Es gab bisher in der Bundesrepublik nur zwei Mal einen Bundespräsidenten der Opposition: Gustav Heinemann 1969 und Karl Carstens 1979. Heinemann war kurz in der Gefahr, parteipolitisch zu Gunsten der Opposition zu agieren. Er sprach damals von einem „Stück Machtwechsel“. Das hat eine rote Linie überschritten und ist vergleichbar mit Köhlers Wunsch nach einer Bundeskanzlerin Merkel. Bei Carstens war es ganz anders. Bei ihm lagen dreieinhalb Jahre zwischen seiner Wahl und dem Machtwechsel zu Kohl. Entgegen allen Befürchtungen war Carstens ein sehr zurückhaltendes Staatsoberhaupt. Der Bundespräsident als Wahlhelfer für die Opposition, das wäre etwas völlig Neues und würde das Amt des Bundespräsidenten verfehlen.

Was war das Besondere an dieser Wahl?

Der Schatten des Nominierungsverfahrens lag auf der Wahl. Die beiden Vorsitzenden Merkel und Guido Westerwelle für die FDP sind ja taktisch raffiniert, wie Zocker, vorgegangen. Der Kandidat war der politischen Öffentlichkeit unbekannt und ist vor seiner Nominierung nicht diskutiert worden. Danach durften die beiden Vorsitzenden nicht beschädigt werden. Das zeigt eher die hässliche Seite des Parteienstaates. Bei Rot-Grün war es übrigens nicht anders. Der andere Gesichtspunkt ist, dass Angela Merkel eine parteipolitische Programmerwartung an das überparteiliche Amt hat. Horst Köhler soll fast in Form einer Kampagne die Reformpolitik vorbereiten, die sie selbst machen will. Das ist neu und riskant.

Was bedeutet das für Horst Köhler?

Er hat ein konsensuales Programm vorgetragen, bei dem niemand ausgeschlossen war. Probleme kann er bekommen mit dem Amtsverständnis. Es hat sich schon mal jemand im Amt geirrt: Das war Konrad Adenauer, der gedacht hat, das sei ein Amt, mit dem man Politik machen kann. Wer Politikgestaltung sucht, ist bei dem Amt an der falschen Adresse. Der Bundespräsident ist nicht gefragt bei zentralen Fragen des Parteienstreits. Der Bundespräsident ist zuständig für die allgemeinen Werte, aber auch für verdrängte Probleme der Gesellschaft und Fehlentwicklungen. Er soll Mahner und Frühwarnsystem sein, kritischer Begleiter von Reformpolitik, ermuntern und drängen. Aber er ist kein Ersatzkanzler. Überparteilichkeit und ein Abstand zu kontroversen Entscheidungen sind notwendig. Eine parteipolitische Selbstbeschränkung. Er redet über Politik, aber er macht sie nicht. Das kann Horst Köhler gelingen, aber nur wenn er sich befreit von den massiven Erwartungen, die das ihn tragende Bündnis an ihn richtet.

Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Gesine Schwan hatte keine Chance, aber sie hat sie genutzt. Sie hat Stimmen aus dem bürgerlichen Lager geholt. Das zeigt, dass das bürgerliche Lager nicht so geschlossen ist, wie es sich gerne darstellt.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

Joachim Raschke (66) lehrte von

1975 bis 2001

als Professor Politikwissenschaft

an der Universität Hamburg.

Er ist als Parteienforscher bekannt.

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