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Politik: Er zählt täglich seine Sorgen

Der britische Premier Tony Blair und seine Regierung müssen mehrere Krisen auf einmal bewältigen

Die britische Regierung schlittert von Krise zu Krise – und das eine Woche vor den Kommunalwahlen in England. „Es war keine gute Woche“, räumte Arbeitsminister John Hutton am Donnerstag in der BBC ein und fügte voll düsterer Vorahnung hinzu: „Dabei ist die Woche noch gar nicht zu Ende.“

Innenminister Charles Clarke ist wegen der verschlampten Abschiebung von über 1000 ausländischen Straftätern in schwerster Bedrängnis. Oppositionspolitiker, Zeitungen, sogar Labour-Abgeordnete fordern seinen Rücktritt. Schon vor zwei Jahren wurde das Innenministerium auf die Missstände hingewiesen. Seit Clarke im September versprach, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern, wurden weitere 288 Ausländer normal aus dem Gefängnis entlassen, statt direkt abgeschoben zu werden. Nun sucht die Polizei fieberhaft nach 916 untergetauchten Straftätern.

Am Mittwoch machte sich Blair nach einer Fragestunde im Unterhaus eilends aus dem Staub, als Clarke ein Statement abgab. „Du bist allein“, riefen ihm Abgeordnete zu. Der Labour-Abgeordnete Lindsay Hoyle forderte in der BBC den Rücktritt des Parteigenossen: „Die Öffentlichkeit ist bitter enttäuscht und erwartet, dass Minister die Verantwortung übernehmen, wenn es so ernst ist.“

Noch während Clarke sich überschwänglich entschuldigte, musste Gesundheitsministerin Patricia Hewitt in Bournemouth eine Rede vor Krankenschwestern abbrechen. Sie wurde öffentlich ausgebuht. Es sieht nicht so aus, als könnte sie nach der Finanzkrise und den Entlassungen im staatlichen Gesundheitsdienst die Gesundheitsreformen noch durchsetzen, die Blair schönste Hinterlassenschaft sein sollen.

Dabei hatte der Premier am Morgen dieses „schwarzen Mittwochs“ zähneknirschend Fotos studieren müssen, die seinen schwergewichtigen Vizepremier John Prescott beim Büroflirt mit Sekretärin Tracey Temple zeigten. Begleitet waren die Fotos des „Daily Mirror“ von einem mit sexuellen Andeutungen gespickten Text. Nun stöbern die Zeitungen, ob Prescott seine zweijährige Affäre mit der Sekretärin mit Amtsmitteln unterstützt hat. Das wäre dann nicht nur Grund für Hohn, sondern auch eine Ministerentlassung, wie der Fall des früheren Innenministers David Blunkett zeigt.

Drei Krisen an einem Tag – kein Wunder, dass die Presse den „GAU“ für Blair ausrief. Im Kabinett habe die „Kernschmelze“ eingesetzt, schrieb der „Daily Mail“. „Blair muss den Preis für seine Misswirtschaft zahlen“, forderte der „Daily Telegraph“. Überall sahen Zeitungen den Verschleiß von Personal, Standards und Ideen in Blairs Regierung.

Dabei ist Blair schon durch das Angebot von Oberhaussitzen an Geldgeber angeschlagen, die die Labour-Partei unterstützt haben. Das umstrittene Schulgesetz, eine zentrale Säule von Blairs angestrebter Generalreform des Bildungssystems, wird derzeit im zuständigen Ausschuss geprüft. Derweil hängt die Zukunft von Bildungsministerin Ruth Kelly am seidenen Faden. Sie war wegen Zweifeln an ihrer Kompetenz, aber auch wegen allzu großzügiger Diätenabrechnungen ins Gerede gekommen.

„Blair wird in diesem Jahr nur zurücktreten, wenn die Polizei ihn wegen der Parteifinanzierung verhört“, glaubt Patrick Dunleavy, Politikprofessor an der London School of Economics. Aber er will trotzdem nicht ausschließen, dass ein schlechtes Ergebnis der Labour-Partei bei den Kommunalwahlen kommende Woche den Startschuss für den innerparteilichen Aufstand gibt. Nach BBC-Informationen haben zwei einflussreiche Labour-Bezirkschefs in einem Brief an Blair vor schweren Verlusten gewarnt und den baldigen Rücktritt des Labour-Chefs angemahnt.

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