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Politik: Erben ist nicht unanständig - den Deutschen fehlt die Erfahrung, dass Werte über Generationen weitergegeben werden (Kommentar)

Der Kanzler wehrt sich mit Nachdruck gegen den Vorwurf, das Sparpaket bringe Deutschland in eine soziale Schieflage. Gerhard Schröder listet auf, wie die Steuerschlupflöcher geschlossen werden und welche Wohltaten die Regierung verteilt hat.

Der Kanzler wehrt sich mit Nachdruck gegen den Vorwurf, das Sparpaket bringe Deutschland in eine soziale Schieflage. Gerhard Schröder listet auf, wie die Steuerschlupflöcher geschlossen werden und welche Wohltaten die Regierung verteilt hat. Aber die Bundesbürger sind gewohnt, dass der Staat für sie immer da ist. Die SPD nach 1969 und die Union ab 1982 haben in unholder Eintracht die guten Sitten verdorben. Deren Sozialpolitiker tun sich schwer, von ihren Beglückungsformeln abzurücken. Die der SPD wollen jetzt eine Morgengabe haben, die dem Wahlvolk zeigt: Seht, auch die Reichen müssen zahlen. Wenn Schröder bei der Sanierung der Staatsfinanzen einknickt, kann er einpacken, dann wird ihm niemand mehr glauben. Aber er könnte ein Signal an seine zweifelnde Truppe geben. Eine höhere Grundsteuer könnte es sein, eine Vermögensteuer oder eine Heraufsetzung der Erbschaftsteuer.

Die Grundsteuererhöhung träfe auch alle Wohnungseigentümer direkt, berührt also Wählerpotential der SPD und ist somit chancenlos. Das Rennen müsste die Vermögensteuer machen. Sie ist populistisch, bringt aber nicht viel. Kapitalvermögen lässt sich in Zeiten der Globalisierung verschieben oder verschleiern. Also wird die Erbschaftsteuer den Zuschlag erhalten. Das dürfte Zustimmung finden - Erben gilt in Deutschland als unanständig. Die Deutschen haben in diesem Jahrhundert noch nie die Erfahrung gemacht, dass die Weitergabe von Werten normal ist. Zwei Weltkriege, Inflationen, Enteignung und Vertreibung hatten viele deutsche Privatvermögen so gründlich liquidiert, dass der Gedanke an eine große Erbschaft noch vor zehn Jahren exotisch anmutete. Etwas weniger kriegerische Nachbarvölker haben mit dem Erben keine Probleme. Für sie ist es normal.

Für die Deutschen seit etwa zehn Jahren auch. Sie schlagen beim Erben sogar alle Rekorde. Die Generation, die nach dem Krieg den Wiederaufbau stemmte, war die Generation der soliden Karrieren mit mittelständischen Betrieben. Jährlich werden bei uns etwa 400 Milliarden DM per Testament vermacht. Empfänger sind etwa eine Million Erben. Das macht pro Erbfall ein Schnitt von 400 000 DM. Die Zahl macht Otto und Ilse Normalverbraucher klar, dass keine unbedeutende, aber im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung kleine Gruppe ohne eigenes Zutun ziemlich reich wird.

Aus dem "ohne eigenes Zutun" leiten Finanzminister das moralische Recht ab, sich über die Erbschaftsteuer eine schöne Einnahmequelle zu sichern. Ein weiteres Argument haben die Verfassungsrichter der Politik gegeben: Jeder soll nach der Leistungsfähigkeit besteuert werden. Dass aber der Empfänger eines bedeutenden Erbes leistungsfähiger wird, ist unbestreitbar.

Politische Moralisten klagen, die Finanzminister differenzierten ungenügend. So unterscheiden sie nicht zwischen einem sozialpflichtig genutzten Vermögenserbe - das etwa in einem Unternehmen angelegt ist - und dem reinen Kapitalvermögen, das Zinsen bringt, ohne dass der Eigentümer etwas dazu tut. Letzteres müsste höher besteuert werden als das Erstere. Falsch, sagen alle Kundigen: Wo stünde die Wirtschaft, wenn ihr niemand Kapital zur Verfügung stellen würde, ohne sich auch gleich in die Geschäfte ein zu mischen?

Eine zu hohe Erbschaftsteuer kann Unternehmen beim Generationenwechsel ruinieren. Die Politik darf hier einmal nicht dem österreichischen Ökonomen Schumpeter folgen, der meinte, Erbschaften würden die wirtschaftliche Dynamik stören. Der Volksmund teilt Schumpeters Ansicht zwar, wenn er von Familienunternehmen sagt: Die erste Generation baut auf, die zweite baut aus, die dritte baut ab - manche Familien haben den Zyklus schon in zwei Generationen geschafft. Aber das geht den Staat nichts an. Ein Argument für die Erhöhung der Erbschaftsteuer hätte die Politik: Bedeutende Vermögen kann man nur in Friedenszeiten bilden. Für Frieden sorgt die Politik, sorgt die Gesellschaft. Also steht der Vermögende gegenüber der Gesellschaft in der Schuld, - die im Erbfall getilgt werden kann.

Gerd Appenzeller

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