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Trümmerlandschaft. Wie in Bhaktapur, einer Stadt nahe Kathmandu, sieht es vielerorts in der Erdbebenregion von Nepal aus.

© Menahem Kahana/AFP

Erdbebenkatastrophe in Nepal: Es trifft die Ärmsten

Wer dort ist, kommt nicht weg, wer helfen will, kommt nicht hin. Die Lage im Erdbebengebiet in Nepal ist dramatisch. Und Experten sagen: Das größere Beben steht noch bevor.

Die Lage in Nepal wird immer verzweifelter. Die Regierung befürchtet, dass bei dem Erdbeben 10.000 Menschen getötet wurden. Nach einem erneuten Lawinenabgang werden 250 Menschen vermisst. Die Überlebenden der Katastrophe fliehen auf der Suche nach Wasser und Essen aus der Hauptstadt Kathmandu.

Welche Probleme gibt es beim Hilfseinsatz?

Vier Transportmaschinen der Indischen Luftwaffe, vollbepackt mit Trinkwasser, Milch, Nudeln, Sauerstofftanks und anderen Hilfsgütern, warten im Luftraum von Kathmandu vergeblich auf einen Landeslot. Der kleine Flughafen ist derart überlastet und der Luftraum so überfüllt, dass die Piloten schließlich abdrehen und unverrichteter Dinge zurück nach Delhi fliegen müssen. Ähnlich ergeht es Dutzenden Flügen. Der Tribhuvan International Airport, Nepals einziger Internationaler Flughafen, wird zum Nadelöhr, das die dringend benötigte Hilfe bremst. Der kleine, 1955 erbaute Flughafen hat nur eine, auf Sandboden gebaute Landebahn. Selbst sie muss wegen Nachbeben und schlechtem Wetter immer wieder schließen. Die Folgen sind dramatisch: Viele Helfer und Hilfsgüter schaffen es erst nach Irrfahrten bis nach Nepal. Ärzte ohne Grenzen schickte nun sogar Teams aus Indien über den drei- bis fünftägigen Landweg los.

Welche Ausmaße hat die Katastrophe?

Nach UN-Angaben leben acht Millionen Menschen, fast ein Drittel der 28 Millionen Einwohner Nepals, in der Erdbebenregion. 1,4 Millionen von ihnen bräuchten dringend Nahrungsmittel, Zehntausende sind obdachlos. Kathmandu gleicht einer Zelt- und Matratzenstadt. Hunderttausende verbrachten bei Regen die dritte Nacht im Freien. Nachbeben schrecken die traumatisierten Menschen immer wieder auf. Auf der Suche nach Wasser und Essen sind mehr als 70.000 Menschen aus Kathmandu geflohen.

Spärlich sickern erste Informationen aus den Gebieten rund um Lamjung ein, wo das Epizentrum des Erdbebens lag. Sie lassen Schlimmstes befürchten. Hubschrauber begannen, über abgelegenen Dörfern Hilfspakete abzuwerfen und Schwerverletzte zu bergen. In Barpak im Ghorka-Bezirk stünden von mehr als 1.450 Häusern nur noch 20, berichten Journalisten der „Mail Today“, die mit einem Erkundungsflug des indischen Militärs mitflogen. 40 Tote seien geborgen, doch Hunderte lägen noch unter den Trümmern.

Nepal liegt im Erdbeben-Risikogebiet. Wie wahrscheinlich sind neue Katastrophen?

Zahlreiche Experten warnen, das wirklich große Beben werde erst noch kommen und das jüngste Beben der Stärke 7,8 an Zerstörungskraft um ein Vielfaches übertreffen. „Wir erwarten ein Beben der Stärke 8 entlang der Himalayas. Das war es noch nicht“, sagt Hari Kumar vom GeoHazards International. „Der Druck, der sich westlich dieses Bebens aufgebaut hat, ist noch nicht entwichen.“
Andere Spezialisten pflichten bei. „Es könnte eine Serie von Beben mit einer Stärke von über 8 geben“, fürchtet Harsh Gupta, ehemaliger Direktor des indischen geophysikalischen Untersuchungsinstituts. Andere halten sogar Beben der Stärke 9 für möglich. Das jüngste Beben der Stärke 7,8 hatte eine Zerstörungskraft von 100 Millionen Tonnen TNT-Sprengstoff. Bei stärkeren Beben potenziert sich das. So hätte ein Beben der Stärke 9 eine Zerstörungskraft, die 32-mal höher wäre als ein Beben der Stärke 8.

Ist die Region dieser Gefahr hilflos ausgeliefert?

Nicht nur in Nepal, auch in andere Himalaya-Staaten könnte ein noch stärkeres Beben verheerende Folgen haben. Das liegt nicht nur an den oft billig gebauten Häusern Südasiens, die kaum einem Erdstoß standhalten. Vor allem die hohe Bevölkerungsdichte macht die Region so verwundbar für gigantische Katastrophen. Fast nirgendwo leben so viele Menschen auf einen Haufen wie in den heillos überbevölkerten Staaten und Städten Asiens. Deshalb wirken sich Beben rund um den Globus völlig anders aus. Während ein stärkeres Beben in Kalifornien 10 bis 30 Tote pro 100 000 Einwohner fordern würde, wären es in Nepal schon 1000 Tote auf 100 000 Einwohner. Und in Teilen Pakistans, Indiens, Chinas und Irans sogar bis zu 10.000, sagt David Wald vom US Geological Survey. „Das eigentliche Problem in Asien ist, dass sich Menschen an gefährlichen Plätzen konzentrieren“ – und das in oft instabilen, baufälligen Gebäuden, sagt James Jackson von der Universität of Cambridge. Seit Jahren schlagen Experten Alarm und mahnen Nepal, die Bauvorschriften zu verschärfen. Doch die Verantwortlichen handelten nur halbherzig. Die Experten sehen daher in all der Zerstörung auch eine Chance. Nepal habe nun die Möglichkeit, die Gebäude sicherer wiederaufzubauen. Und sich damit vielleicht noch rechtzeitig für das große Beben zu rüsten, das früher oder später kommen werde. Für Nepal könne dies ein Neubeginn werden, hofft Hari Kumar. „So tragisch diese Tage sind, dies ist die Zeit für eine Wende.“

Was weiß man über das Schicksal von Deutschen in Nepal?

Der Tod des 68-jährigen Göttinger Geografie-Professor Matthias Kuhle bei dem Erdbeben ist inzwischen offiziell bestätigt. Er war am Samstag durch herabfallendes Gestein am Kopf getroffen und tödlich verletzt worden. Er leitete eine Forschungs-Exkursion in den Himalaya. Die 15 studentischen Teilnehmer und ein weiterer wissenschaftlicher Betreuer sollen nicht oder nur leicht verletzt worden sein. Nach Angaben der Universität wird die Gruppe an diesem Mittwochabend zurückerwartet. Zu etwa 100 Deutschen in Nepal besteht derzeit kein Kontakt. Ein Krisenstab kümmere sich, versicherte das Auswärtige Amt. Für besorgte Bürger, Angehörige und Freunde von Nepal-Reisenden wurde die Hotline 030/5000-3000 geschaltet.

Das Land benötigt dringend Hilfsmittel, deshalb wird um Spenden gebeten. Eine Liste von Organisationen, die Spenden für die Erdbebenopfer in Nepal entgegennehmen, finden Sie hier.

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