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Politik: Erdogan nennt Schröder rückgratlos

Türkischer Premier hält den Armenienbeschluss des Bundestages für „falsch und hässlich“ / Berlin: Unverständlich

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Berlin/Istanbul - Mit einer scharfen persönlichen Attacke auf Kanzler Gerhard Schröder hat der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan auf den Bundestagsbeschluss zu den Massakern 1915/16 an den Armeniern reagiert. Ihm seien Politiker mit Rückgrat lieber, sagte Erdogan in Bezug auf Schröder, nachdem der Bundestag der im Osmanischen Reich getöteten Armenier gedacht hatte. Noch Anfang Mai habe Schröder bei seinem Besuch in der Türkei betont, er stimme mit der türkischen Sicht der Dinge überein, sagte Erdogan. Doch dann habe der Kanzler nichts unternommen, um den Bundestagsbeschluss zu verhindern.

„Sehr falsch und sehr hässlich“ sei der Bundestagsbeschluss gewesen, sagte Erdogan. Der Bundestag sei Opfer armenischer Lobbyisten geworden. Dass im Antrag selbst nicht von „Völkermord“ die Rede ist und der Begriff nur in der Begründung auftaucht, sei kein Trost. „Ich mag eher Politiker mit Rückgrat, mit starken Knochen“, sagte Erdogan über Schröder. Die Türkei behauptet bis heute, es habe sich nur um kriegsbedingte Zwangsumsiedlungen gehandelt. Welche Konsequenzen Erdogans Wutausbruch haben wird, war zunächst unklar. Die türkische Regierung bestritt, dass in Ankara erwogen wird, den türkischen Botschafter in Deutschland, Mehmet Ali Irtemcelik, zu Konsultationen in die türkische Hauptstadt zurückzurufen. Vor der deutschen Botschaft in Ankara demonstrierten am Freitag nationalistische Gewerkschafter, legten einen schwarzen Kranz nieder und riefen Parolen wie „Hitlers Bastarde“.

Die Bundesregierung wies die Kritik Erdogans zurück. Dessen Behauptung, der Beschluss sei „falsch und hässlich“, sei „unzutreffend“, sagte Vizeregierungssprecher Thomas Steg dem Tagesspiegel: „Es ist eine ausgewogene Resolution.“ Steg bestritt auch, dass sich Schröder der türkischen Haltung in der Armenierfrage angeschlossen habe. „Der Bundeskanzler hat immer seine eigene Position deutlich gemacht“, sagte er: „Insofern ist die Enttäuschung über diese Resolution unverständlich.“ Gerade die Deutschen wüssten, dass die Aufarbeitung historischer Schuld und die Bereitschaft zur Versöhnung und zum Verzeihen unverzichtbar seien, „um eine gute und friedliche Zukunft der Völker zu gestalten“.

Bei einer vom Zentralrat der Armenier organisierten Podiumsdiskussion am Donnerstagabend in Berlin kritisierten Wissenschaftler den Bundestagsbeschluss als inkonsequent. Der Hamburger Juraprofessor Otto Luchterhandt sprach von „Schizophrenie“. Für den „Hausgebrauch“ in Deutschland werde der Begriff Völkermord benutzt, gegenüber der Türkei aber vermieden. Der Bundestag sei zurückgewichen hinter einem „aggressivem türkischen Nationalismus“, habe die Türkei „zu schonend angepackt“. Mihran Dabag vom Institut für Genozidforschung in Bochum sagte, gegenüber der Leugnung des Völkermords hätte das deutsche Parlament eine „ganz klare Haltung“ einnehmen müssen. Der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel sagte, mehr sei nicht möglich gewesen. Der CDU-Abgeordnete Christoph Bergner meinte, es gehe darum, ein „Umdenken in der Türkei“ zu erreichen. Bergner will sich gemeinsam mit der CDU-Bildungspolitikerin Katherina Reiche an die Kultusministerien der unionsregierten Länder wenden, damit die Vernichtung der Armenier möglichst in allen Ländern im Schulunterricht behandelt wird. Bisher steht das Thema nur in Brandenburg auf dem Lehrplan.

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