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Ein Kind hält ein mit einem Schuhabdruck versehenes Foto des französischen Staatschefs Emmanuel Macron in Istanbul in die Kamera.

© dpa

Erdogan gegen Macron : Der „Krieg der Worte“ um die Mohammed-Karikaturen eskaliert

Der türkische Präsident heizt den Karikaturen-Streit mit Paris bewusst an. Aber auch Frankreichs Staatschef kommt der Konflikt nicht ungelegen. Eine Analyse.

Es ist eine alte politische Weisheit: Wenn Politiker den politischen Gegner im Äußeren ausmachen, bietet ihnen das auch eine Gelegenheit, von Problemen in der Innenpolitik abzulenken. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan handelt im gegenwärtigen Streit zwischen Paris und Ankara um Mohammed-Karikaturen nach dieser Devise. Aber das tut Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Teil auch. 

Um nicht missverstanden zu werden: Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten vor vier Jahren ist es mehr denn je für Politiker des liberalen Westens ein dringendes Gebot, Populisten und Autokraten an der Spitze befreundeter und weniger befreundeter Staaten die Grenzen aufzuzeigen.

So gesehen, konnte Macron kaum tatenlos bleiben, nachdem ihn Erdogan am vergangenen Wochenende öffentlich verhöhnt hat. Macron solle sich auf seinen geistigen Zustand untersuchen lassen, hatte Erdogan erklärt. 

Die Tiraden Erdogans folgen einem einfachen Muster. Schon vor der Corona-Krise war das Land am Bosporus von einer Wirtschaftskrise mit hohen Inflationsraten und enormer Jugendarbeitslosigkeit gebeutelt. Inzwischen hat sich die Lage noch verschärft. Während Erdogan mit seiner Politik kaum neue Jobs schaffen kann, spielt er sich vor der muslimischen Welt nun eben als oberster Glaubensverteidiger auf.  

Am Montag drehte Erdogan noch ein wenig weiter an der Eskalations-Schraube und rief zum Boykott französischer Waren auf. Das ist vor allem medienwirksam; der tatsächliche Schaden für die französische Wirtschaft wird sich wohl in Grenzen halten.

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Zuvor hatte der türkische Staatschef Anstoß daran genommen, dass Macron beim Staatsakt für den enthaupteten Lehrer Samuel Paty am vergangenen Mittwoch erklärt hatte, Frankreich werde nicht auf Karikaturen und Zeichnungen verzichten, „auch wenn andere sich davon zurückziehen“.

Paty hatte in einem Unterricht über die Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ gezeigt. Gerade angesichts der von einer Minderheit muslimischer Eltern eingeforderten Tabuzonen im Unterricht – die es übrigens nicht nur in Frankreich gibt – bleibt die Forderung Macrons zum Recht auf Meinungsfreiheit -  ja, auch zur Blasphemie - richtig.  

Das türkische Gas-Forschungsschiff "Oruc Reis" ist derzeit wieder im östlichen Mittelmeer unterwegs.
Das türkische Gas-Forschungsschiff "Oruc Reis" ist derzeit wieder im östlichen Mittelmeer unterwegs.

© dpa

Richtig ist es auch, wenn Macron den türkischen Staatschef angesichts seiner regionalen Machtansprüche in die Schranken zu weisen versucht. Anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört Macron in der EU zu denjenigen, die wegen der türkischen Gaserkundungen und -bohrungen im östlichen Mittelmeer Sanktionen gegen die Türkei fordern. Die Region ist nicht der einzige internationale Krisenherd, an dem Erdogan zündelt – auch Libyen und die Südkaukasus-Region Berg-Karabach gehören dazu. 

Versagen in der französischen Innenpolitik

Allerdings bietet der Streit mit Erdogan auch für Macron eine Gelegenheit, von all den Fehlentwicklungen in der französischen Innenpolitik abzulenken, die auch nach dem islamistischen Terrorakt gegen den Lehrer Samuel Paty wieder zu beobachten waren.

Macron ist es seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 nicht gelungen, den typisch französischen Teufelskreis zu durchbrechen: Die wirtschaftliche Ausgrenzung vieler Muslime in Frankreich führt dort zu Frustration und macht gerade junge Menschen anfällig für den Islamismus. Die Corona-Krise hat diese Entwicklung noch verschärft. Auf der Seite der Nichtmuslime verschärft sich wiederum die Polemik. Dort wird ein zunehmender Kommunitarismus beklagt – also eine gesellschaftliche Abschottung der Muslime. 

Sinnloser Streit um Halal-Abteilungen in Supermärkten

Es kann also Macron ganz recht sein, wenn sich Frankreich, sofern die Corona-Pandemie und die immer erschreckendere Zahl der Neuinfektionen dafür überhaupt Zeit lassen, mit dem diplomatischen Streit zwischen Paris und Ankara beschäftigt.

Zu fragen wäre eher, warum Macron in den Tagen nach der Ermordung von Samuel Paty Regierungsmitglieder wie den Innenminister Gérald Darmanin gewähren ließ: Als gäbe es kein wichtigeres Thema, ließ sich Darmanin kritisch über die Halal-Abteilungen in französischen Supermärkten aus. 

Im Elysée-Palast, dem Amtssitz Macrons, besteht zu Recht die Sorge, dass Erdogan künftig seine Anstrengungen noch verstärken wird, die in Frankreich lebenden Muslime durch seine Tiraden unmittelbar aufzustacheln. Das probate Gegenmittel liegt aber nicht in einer Eskalation des „Kriegs der Worte“ zwischen Paris und Ankara. Sondern darin, das schöne französische Wort der „égalité“ für alle Jugendlichen mit Sinn zu erfüllen, wenn es um deren Zukunftschancen geht. 

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