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Foto: Adem Altan/AFP

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Politik: Erdogan will Abtreibung verbieten

Dem türkischen Premier ist die Haltung des Islam zum Thema zu lasch. Auch in Kaiserschnitten sieht er eine Gefahr für eine „gesunde“ Geburtenrate.

In der Türkei sollen Abtreibungen künftig nur noch bis zur vierten Schwangerschaftswoche und nur in medizinischen Notfällen erlaubt sein. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will die bisherige Fristenregelung abschaffen, die Abtreibungen bis zur zehnten Woche erlaubt. Auch gegen die steigende Zahl von Kaiserschnittgeburten will er vorgehen – wie die jährlich rund 70 000 Abtreibungen in der Türkei seien die Operationen ein Hindernis für das nötige Bevölkerungswachstum, sagte er.

Eine Oppositionsabgeordnete warf dem Regierungschef vor, er führe sich auf wie ein „Vaginawächter“. Auch Frauenrechtlerinnen sind entsetzt. „Ich bin sehr besorgt, das ist eine schwierige Lage“, sagte Emel Armutcu vom Frauen-Dachverband „Hakli Kadin Platforumu“ dem Tagesspiegel in Istanbul. Bisher habe sie nie den Vorwürfen geglaubt, der fromme Muslim Erdogan wolle aus der Türkei eine islamische Republik machen. „Aber jetzt habe ich Angst.“

Vor einer Woche hatte Erdogan die Abtreibungsdebatte eröffnet. Jede Abtreibung sei ein Verbrechen. Das neue Abtreibungsgesetz, das laut Medienberichten eine Vierwochenfrist beinhalten wird, soll noch vor der am 1. Juli beginnenden Sommerpause ins Parlament eingebracht werden. Politiker aus Erdogans Regierungspartei AKP fordern, auch Schwangerschaften nach Vergewaltigungen sollten verboten werden.

Dabei war die seit 1983 geltende Fristenregelung bis zur zehnten Schwangerschaftswoche bisher größtenteils unumstritten. Laut UN-Statistiken ist die Zahl der Abtreibungen in der Türkei trotz der relativ liberalen Lösung im internationalen Vergleich recht niedrig. Die Abtreibungsrate liegt bei 14,8 pro tausend Frauen und damit weit unter dem weltweiten Durchschnitt von 28.

Auch aus dem Islam ergibt sich kein automatischer Handlungsbedarf. Viele islamische Gelehrte sind der Ansicht, dass ein ungeborenes Kind erst etwa im vierten Monat eine Seele erhält und damit zum Menschen wird. Damit ist der Islam beim Thema Abtreibung toleranter als etwa die katholische Kirche. Doch Erdogan machte deutlich, dass ihm die relativ tolerante Auslegung im Islam zu lasch ist. Abtreibung sei genauso ein Verbrechen wie ein Kindsmord nach der Geburt, sagte er. Auch das staatliche Religionsamt der Türkei, die offizielle Leitinstanz des Islam in der Türkei, liegt auf Erdogans strikter Linie.

Über die von Erdogan ebenfalls kritisierte Zunahme von Kaiserschnittgeburten in der Türkei – in manchen Krankenhäusern laufen neun von zehn Geburten auf diese Weise ab – wird schon länger diskutiert. Viele Ärzte und Frauen entscheiden sich für diese Methode, weil sie zwar teurer ist als eine natürliche Geburt, aber besser planbar und für die Mutter schmerzfrei.

Mit dem steigenden Wohlstand in der Türkei nimmt auch die Zahl der Kaiserschnittgeburten zu: Im vergangenen Jahr waren es knapp 1,3 Millionen. Mit einem Anteil von Kaiserschnitten von etwa 40 Prozent an der Gesamtzahl der Geburten liegt die Türkei weit über dem von den UN empfohlenen Wert von 15 Prozent. Erdogan bezeichnete die Kaiserschnittgeburten allen Ernstes als Teil eines „finsteren Plans“, der das Ziel habe, ein gesundes Bevölkerungswachstum in der Türkei zu verhindern. Schließlich könne eine Frau nach einem Kaiserschnitt höchstens noch ein weiteres Kind bekommen.

Und da liegt für Erdogan das Problem. Denn er fordert seit Jahren, jedes türkische Ehepaar solle mindestens drei Kinder in die Welt setzen, um das Land vor einer Überalterung wie in Europa zu bewahren. Skeptiker werfen Erdogan vor, er fordere zwar mehr Nachwuchs, unternehme aber nichts, um den verlangten Kindersegen etwa durch Einführung eines Kindergeldes für Normalbürger auch bezahlbar zu machen. „Ich wünsche mir, dass der Ministerpräsident aufhört, Vaginawächter zu sein“, erklärte die Oppositionspolitikerin Aylin Nazliaka.

Die Frauenrechtlerin Armutcu kündigte an, Frauenverbände würden versuchen, mit Demonstrationen und Gesprächen mit der Regierung das neue Gesetz doch noch zu verhindern. Ob sich Erdogan umstimmen lässt, ist aber fraglich. Wenn man Abtreibungen zulasse, könne man auch Selbstmörder von der nächsten Brücke springen lassen, sagte er.

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