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Update

Ermittlungen gegen Ex-IWF-Chef gehen weiter: US-Gericht lässt Strauss-Kahn unter Auflagen frei

Das Gericht hat Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn gegen Auflagen aus dem Hausarrest entlassen. Indessen werden immer mehr Widersprüche in den Aussagen des angeblichen Opfers bekannt.

Das Gericht in New York hat den Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn gegen Auflagen aus dem Hausarrest entlassen, nachdem die Staatsanwaltschaft zugestimmt hatte, die gegen Strauss-Kahn verhängte Kaution aufzuheben.Den Pass von Strauss-Kahn behielt die Justiz ein. Der 62-jährige Franzose kann sich nun in den USA frei bewegen. Die Anklage erklärte bei der kurzfristig angesetzten Gerichtsanhörung, die Ermittlungen würden aber nicht eingestellt. Die nächste Anhörung in dem Fall soll am 18. Juli stattfinden. Nach dem Termin am Freitag verließ Strauss-Kahn den Gerichtssaal lächelnd in Begleitung seiner Frau Anne Sinclair, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Die „New York Times“ hatte zuvor berichtet, wegen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers stehe die Anklage gegen den 62-jährigen Franzosen kurz vor dem Zusammenbruch. Für Freitag wurde überraschend eine Anhörung Strauss-Kahns vor Gericht angeordnet. Dem Zeitungsbericht zufolge glauben die Ankläger „nicht viel“ von der Aussage der Hotelangestellten, die Strauss-Kahn massive sexuelle Übergriffe während seines Aufenthalts in einem New Yorker Luxushotel vorwirft.

Es ist eine spektakuläre Wende im Strafprozess gegen Dominique Strauss-Kahn, bis Mai Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Anklage wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens in einem New Yorker Luxushotel muss möglicherweise fallen gelassen werden. In Frankreich spekulierten die politische Klasse und die Medien, ob er nun doch noch als sozialistischer Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2012 antreten könne. Die Bewerbungsfrist endet am 13. Juli. Bis zur Anklage wegen versuchter Vergewaltigung in New York hatte er als Favorit gegolten.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es über die Belastungszeugin?

Was wirklich am Sonnabend, 14. Mai, in der Suite 2806 des Sofitels in Manhattan geschah, wissen nur die beiden Beteiligten, der 62-jährige Franzose und die 32-jährige Frau aus Guinea in Westafrika. Sie hatte ausgesagt, sie habe gegen 12 Uhr die Suite reinigen wollen und geglaubt, sie sei leer, weil niemand antwortete. Als sie sauber machte, sei Strauss- Kahn nackt aus dem Badezimmer gekommen und habe sie zu sexuellen Handlungen genötigt. Dabei habe er auch seine überlegenen Körperkräfte eingesetzt. Die Ermittler betrachteten ihre Schilderung zunächst als glaubwürdig, weil sie direkt nach dem Vorfall Arbeitskollegen davon berichtet hatte und in den Gesprächen mit Polizei und Strafverfolgern bei ihrer Darstellung blieb.

Strauss-Kahn hat dagegen bestritten, dass er irgendeinen Zwang ausgeübt habe. Es habe sexuelle Handlungen gegeben, aber die seien einvernehmlich erfolgt. Er steht im Ruf, ein Schürzenjäger zu sein. Er hatte nach eigenem Eingeständnis außereheliche Affären.

Mittlerweile haben die Ermittler jedoch die Lebensgeschichte der Frau überprüft und haben nun Zweifel, ob sie die Wahrheit sagt. Sie sei zudem in Drogengeschäfte verwickelt. Die „New York Times“ berichtete in der Nacht zu Freitag unter Berufung auf nicht namentlich genannte Vertreter der Ermittlungsbehörden und der Anklage von Lügen in der Darstellung der Frau und von ihren Kontakten ins kriminelle Milieu.

Innerhalb von 24 Stunden nach der Tatzeit habe sie einen Mann im Gefängnis angerufen, den sie als ihren Lebensgefährte bezeichnet und der dort eine Strafe wegen des Besitzes von 400 Pfund Marihuana verbüßt. Mit ihm habe sie besprochen, wie sie Vorteile aus den Vorwürfen gegen Strauss-Kahn ziehen könne. Dieses Gespräch wurde aufgezeichnet. Sie unterhalte zudem mehrere Konten, auf die dieser Mann und andere insgesamt 100 000 Dollar in den jüngsten zwei Jahren eingezahlt haben. Die Bareinzahlungen stammten aus verschiedenen US-Bundesstaaten. Entgegen ihrer Behauptung, dass sie nur ein einziges Mobiltelefon besitze, fanden die Ermittler heraus, dass sie Mobilverträge mit mindestens fünf verschiedenen Telefongesellschaften hat und dass die monatlichen Rechnungen sich auf mehrere hundert Dollar summieren. All diese Hinweise deuten für die Ermittler darauf hin, dass sie in einen Ring zum Drogenhandel und zur Geldwäsche verwickelt sein könnte.

Sie machte auch widersprüchliche Angaben zu den Hintergründen, auf deren Basis sie vor wenigen Jahren politisches Asyl in den USA erhalten hatte. „Es ist ein großer Schlamassel, für beide Seiten“, bewertete ein Ermittler die neue Lage gegenüber der „New York Times“. Ein Anklagevertreter sagte: „Wir haben Probleme mit dem Fall.“ Die „New York Times“ fasst es so zusammen: „Die Anklage gegen Strauss-Kahn steht kurz vor dem Kollaps.“

Wie vertrauenswürdig sind diese Informationen und wie ernst muss man sie nehmen?

Dies sind nicht Behauptungen, die die Verteidigung vorbringt, um die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin zu erschüttern. Sondern es sind Erkenntnisse, die die Ermittler der Staatsanwaltschaft zusammengetragen haben, obwohl ihr Interesse darin besteht, eine möglichst schlüssige Anklage zu untermauern. Am Donnerstag haben sie sich mit Strauss-Kahns Verteidigern getroffen, um zu besprechen, ob die Vorwürfe gegen ihn nun ganz fallen gelassen werden müssen.

Der Anwalt des Zimmermädchens, Kenneth Thompson, sagte dagegen, an dem Hauptvorwurf habe sich nichts geändert: „Strauss-Kahn hat das Opfer mit Gewalt zu Sex gezwungen.“

Wie beeinflussen die neuen Erkenntnisse den Fortgang des Prozesses?

Der nächste Verhandlungstag über den Inhalt der Anklage war erst wieder für den 18. Juli angesetzt. Der Termin am gestrigen Freitag diente nur dazu, die Auflagen zu überprüfen, unter denen Strauss-Kahn von der Untersuchungshaft verschont bleibt. Sein Anwalt erklärte, sein Mandant sei unschuldig. Er werde die Abweisung aller Klagepunkte verlangen. Der Anwalt des mutmaßlichen Opfers sagte, die einzige Verteidigungslinie Strauss-Kahns sei, dass es einvernehmlichen Sex mit seiner Mandantin gegeben habe. „Das ist eine Lüge“, fügte der Anwalt hinzu.

Bei der Gerichtsanhörung sagte der Anklagevertreter, es seien Zweifel an der Glaubwürdigkeit des 32-jährigen Zimmermädchens aufgekommen. Daher befürworte er die Freilassung Strauss- Kahns aus dem Hausarrest. Dieser sei bereit, jederzeit vor Gericht zu erscheinen, etwa für die am 18. Juli vorgesehene weitere Anhörung. Vor Journalisten sagte Ankläger Cyrus Vance, die Ermittlungen würden solange fortgeführt, bis alle relevanten Tatsachen ans Licht gelangt seien.

In einem Brief an die Anwälte Strauss-Kahns hieß es, die Zeugin habe zugegeben, vor dem Ermittlungsgericht über den Ablauf der Ereignisse nach dem angeblichen Angriff gelogen zu haben. Demnach sagte sie ursprünglich aus, nach dem Vorfall in den Flur geflüchtet zu sein und dann darauf gewartet zu haben, bis Strauss-Kahn die Hotelsuite verlässt und schließlich ihre Vorgesetzten informiert zu haben. Diese Darstellung sei nach ihrer neuen Aussage falsch. Sie habe vielmehr nach dem mutmaßlichen Angriff Strauss-Kahns in Suite 2806 ein Nachbarzimmer gesäubert, sei in die Suite zurückgekehrt, um diese zu reinigen und habe dann den Vorfall ihrem Vorgesetzten gemeldet.

Wie reagierte die Verteidigung?

Strauss-Kahns Verteidiger Benjamin Brafman und William Taylor hatten von Anfang darauf gesetzt, die Glaubwürdigkeit der Frau aus Guinea in Frage zu stellen und so die Anklage zu Fall zu bringen. Am 25. Mai hatten sie dem Gericht geschrieben, sie seien auf Informationen gestoßen, die „ihre Glaubwürdigkeit auf schwerwiegende Weise unterminieren“.

Wie ist die Nachricht in Frankreich aufgenommen worden?

Große Erleichterung auf der Linken, große Zurückhaltung auf der Rechten – zwischen diesen beiden Polen bewegten sich am Freitag die Reaktionen der politischen Klasse Frankreichs auf die spektakuläre Wende. „Kein Kommentar“, hieß es im Elysée-Palast, und an diese Vorgabe hielt man sich auch im Regierungslager. Eine Ausnahme machte lediglich der konservative Abgeordnete Bernard Debré. Er hatte dem ehemaligen IWF-Direktor im Mai vorgeworfen, Frankreich erniedrigt zu haben. Das nahm er jetzt als „voreilig“ zurück. Strauss-Kahn könne zur Präsidentenwahl in Frankreich antreten.

So schnell mochten die Sozialisten am Freitag von einer Kandidatur Strauss- Kahns nicht sprechen. Parteichefin Martin Aubry erklärte, sie hoffe „aus ganzem Herzen“, dass die US-Justiz die volle Wahrheit über die Affäre ans Licht bringe, „um diesen Alptraum von Strauss-Kahn zu nehmen“. Auf Fragen nach einer eventuellen Unterbrechung der Primärwahlen, in denen die Sozialisten ihren Kandidaten für die Präsidentenwahl 2012 küren wollen, gab sie jedoch keine Antwort. Dabei ist das die Frage, die im Lager der Opposition wieder alle Diskussionen beherrscht. In der Partei konkurrieren Aubry und ihr Vorgänger als Parteichef, François Hollande, um die Vormachtstellung, wobei Hollande in Umfragen vorn liegt.

Nach dem von der Partei beschlossenen Kalender endet die Frist für interessierte Kandidaten am 13.Juli. Neben Aubry haben bisher ´der frühere Parteichef Francois Hollande, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal und zwei weitere Nachwuchspolitiker ihre Bewerbung erklärt. In Umfragen liegt Hollande an der Spitze. Im Oktober soll über die Spitzenkandidatur abgestimmt werden. Die Anhänger Strauss-Kahns in der Partei würden diese Prozedur jetzt am liebsten unterbrechen. Die Linke könne auf einen Mann wie Strauss-Kahn nicht verzichten, erklärte der frühere Kulturminister Jack Lang. Das Problem der meisten Anhänger Strauss-Kahns ist jedoch, dass sie sich bereits für Aubry oder Hollande engagiert haben. Eine Abkehr könnte die Partei vor neue Zerreißproben stellen. Einen möglichen Ausweg, zumindest einen Zeitgewinn, deutete der frühere Premierminister Lionel Jospin an: „Nach seiner Rehabilitierung muss Strauss-Kahn selbst sagen, was er will.“ (mit AFP/rtr)

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