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Der britische Premierminister Boris Johnson am Dienstag vor seinem Amtssitz in der Downing Street.

© imago images/ZUMA Press

Erneut hat beim Brexit das Volk das Wort: Großbritannien steht vor seiner wichtigsten Wahl

Die Briten wählen im Dezember ein neues Parlament. Das Votum könnte zur Neuauflage des EU-Referendums von 2016 werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

In der Regel finden Parlamentswahlen in Großbritannien im Frühjahr statt. Tony Blair, der als Erneuerer der Labour-Partei startete und wegen seiner Zustimmung zum Irakkrieg zur Hassfigur mutierte, wurde nach einem Erdrutschsieg im Monat Mai Premierminister. Theresa May, die den Brexit versprach, aber nicht liefern konnte, wurde im Juni vor zwei Jahren zur Regierungschefin gewählt. Die nächsten Unterhauswahlen finden nun im Dezember statt, wenn die Abende lang sind und Wahlkampf ein mühsames Geschäft ist. Normal ist das nicht. Aber was ist seit über drei Jahren schon normal in der britischen Politik?

Es ist vernünftig, möglichst rasch Neuwahlen abzuhalten. Der amtierende Premierminister Boris Johnson, der sein Amt einem Mitgliederentscheid bei der konservativen Regierungspartei verdankt, hat keine Mehrheit im Unterhaus mehr. Der Austrittsvertrag, den er mit der EU aushandelte, droht daher im Parlament zu scheitern. Für Johnson, der schon früher als alle anderen Protagonisten in der britischen Politik auf Neuwahlen drängte, böte sich im Fall eines deutlichen Wahlsieges die Chance, den Deal mit der EU endgültig durchs Parlament zu bringen.

Bevor er zum Statisten wurde, ergriff Corbyn die Initiative

Die Entscheidung für Neuwahlen hing bis zuletzt vor allem an der oppositionellen Labour-Partei und ihrem Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Nun hat der Altlinke, umringt von den Mitgliedern seines Schattenkabinetts, einen Wahlkampf in einer nie da gewesenen Größenordnung angekündigt.

Corbyn, der beim Brexit vor allem als Zauderer aufgefallen ist, rang sich zu diesem Schritt auch nur unter dem Druck der Ereignisse durch. Der Labour-Chef hatte befürchten müssen, dass sich Johnson im Parlament mit den Liberaldemokraten und der schottischen Nationalpartei verbünden und einer Neuwahl im Dezember den Weg bereiten würde. Am Dienstag stellte er sich daher selbst an die Spitze der Neuwahl-Bewegung, bevor er in einer Statistenrolle verschwunden wäre.

Damit steuert Großbritannien nun auf die wichtigsten Wahlen zu, die das Land seit Menschengedenken erlebt hat. Zwangsläufig wird der Brexit bei der bevorstehenden Entscheidung im Mittelpunkt stehen. Die Briten werden die Wahl haben zwischen Johnson, der den Brexit durchziehen will, der schottischen Nationalpartei und den Liberaldemokraten, die den Austritt aus der EU verhindern wollen, und Labour. Corbyns Partei will anders als Johnson einen weichen Brexit mit der EU aushandeln und den Briten das Ergebnis anschließend in einem Referendum vorlegen.

Die Brexit-Partei könnte Johnsons Traum zunichte machen

Kurz gesagt: Die bevorstehende Wahl könnte zur Neuauflage des EU-Referendums von 2016 werden. Allerdings werden die Auswahlmöglichkeiten diesmal größer sein als beim Volksentscheid vor dreieinhalb Jahren, als die Briten sich nur zwischen einem „Ja“ und einem „Nein“ zur EU entscheiden konnten.

Johnson setzt darauf, dass der Höhenflug der Tories, der in den Umfragen mit seinem Amtsantritt im Juli begann, bis zum Wahltag anhält. Er sollte sich seiner Sache aber nicht allzu sicher sein. Das Problem des Premierministers besteht darin, dass er den Briten den EU-Ausstieg „ohne Wenn und Aber“ zum 31. Oktober versprochen hatte. Dass es bekanntlich anders gekommen ist, könnte die Brexit-Partei am rechten Rand stärken – und Johnsons Traum von einer satten Mehrheit zunichte machen.

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