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Politik: Ernüchterung in Orange

Die Ukraine ein Jahr nach der Revolution

Orangefarbene Flaggen baumeln an Angelruten über den olivgrünen Zelten. Aus der Gulaschkanone steigt künstlicher Dampf, im Schaumstoffschnee glimmen die Kerzen. „Action!“, schallt die Stimme des Aufnahmeleiters durch das mit Paletten abgeriegelte Mini-Zeltdorf auf dem Kiewer Kreschatyk. Die Kamera surrt, während im Scheinwerferlicht die Revolutionsgarden mit den orangefarbenen Armbändern Filzpantoffeln aus einem Frachtwagen entladen. „Komm, wir gehen“, zerrt eine Mutter ihre Tochter von der Absperrung weg: „Sie drehen hier nur einen Film.“

Mit Geldern aus Hollywood lässt der Filmemacher Alan Badoev die vermeintliche Lagerfeuer-Romantik des Zeltlagers der Orangen-Revolution wieder aufleben. Aus dem Straßenbild Kiews ist das vor einem Jahr noch alles dominierende Orange hingegen fast gänzlich verschwunden. „Nur Ausländer“ würden noch die orangefarbenen Schals erstehen, brummt der Souvenirverkäufer an der Andriiwskyi-Straße. Auch auf seinem stattlichen Restposten von Postern und Postkarten des einstigen Revolutionshelden Wiktor Juschtschenko droht der missmutige Händler sitzen zu bleiben.

Ein dreieckiges Granitmonument erinnert am Kontraktowa-Platz an die Zelte, die zum Symbol des Volksaufstands gegen Wahlbetrug, Klientel- und Willkürherrschaft wurden. Um ihre Wahl des damaligen Oppositionschefs Juschtschenko zum Staatschef durchzusetzen, harrten Hunderttausende selbst in bitterkalten Winternächten auf dem Kiewer Maidan aus. Doch die Erinnerung an das Volksfest in Orange wird ein Jahr danach von Enttäuschung getrübt. „Die Erwartungen waren zu hoch – und sind in Frustration umgeschlagen“ erklärt Jewhen Zolotariow, Aktivist der Jugendbewegung Pora, die Verbitterung vieler Landsleute: „Viele glaubten, dass man mit dem Austausch einer Person ein Land ändern könne.“

An den Schalthebeln der Macht sollten die Orangen-Revolutionäre die in sie gesetzten Erwartungen restlos enttäuschen. Fast alle seiner Mitstreiter hatte Juschtschenko nach seiner Vereidigung zum Präsidenten mit lukrativen Jobs versorgt. Statt Reformen anzugehen, verlor sich die neue Führungsriege in einen Machtkampf. Der wirtschaftliche Schlingerkurs verschreckte Investoren und heimische Oligarchen gleichermaßen, ließ das Wachstum von zwölf Prozent auf magere drei Prozent schrumpfen. Ähnlich korrupt wie ihre Vorgänger entpuppten sich zu allem Übel auch manche der neuen Machthaber. Die von vielen Orange-Demonstranten erhoffte Abrechnung mit den Machenschaften von Ex-Präsident Leonid Kutschma blieb aus: Statt der Vorladung zum Staatsanwalt erhielt der Polit-Rentner gar ein Geburtstagstelegramm von seinem Nachfolger.

Thomas Roser[Kiew]

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