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Wolodymyr Selenskyj traf in London auf den britischen Premierminister Sunak.

© picture alliance/dpa/PA Wire

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Selenskyj in Großbritannien: Liefert London der Ukraine jetzt auch Kampfjets?

Bei seinem Besuch in London dankt Wolodymyr Selenskyj den Briten für ihre Hilfe und fordert erneut Kampfjets. Damit stößt er in der britischen Politik auf offene Ohren.

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Einen triumphalen Auftritt im britischen Parlament hat Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch zu einem neuerlichen Appell an den Westen genutzt, seinem bedrängten Land mit Kampfjets beizustehen. Die Ukraine kämpfe gegen Russland nicht nur um die eigene Freiheit, sondern auch für die globale Sicherheit und Ordnung.

„London hat uns vom ersten Tag an beigestanden“, sagte der Präsident und bedankte sich bei König Charles, Premierminister Rishi Sunak und dem ganzen Land. Nun sei die Zeit für westliche Kampfjets zum Schutz des ukrainischen Luftraumes gekommen: „Wir haben Freiheit. Gebt uns Flügel, um sie zu schützen.“

Dass Selenskyj vor dem EU-Gipfel noch einen Besuch in London einlegte, hatte gleichermaßen eine Vergangenheits- und eine Zukunftskomponente. Der zweite Auslandstrip des ukrainischen Präsidenten seit Beginn des russischen Angriffskrieges belohnt den engsten, gewiss lautstärksten Verbündeten seines Landes in Westeuropa, und gilt zugleich auch als persönliche Anerkennung für Ex-Premier Boris Johnson.

Selenskyj ermutigte die Briten unter ihrem neuen Premier Rishi Sunak, an der Hilfe für das überfallene Land eisern festzuhalten – was der Konservative seinem Besucher ohne Wenn und Aber zusicherte.

Als erste Reaktion veröffentlichte das Foreign Office am Vormittag eine neue Sanktionsliste gegen russische Firmen und Individuen mit engen Verbindungen zum Putin-Regime. Mindestens genauso wichtig dürfte für Selenskyj das militärische Training sein, das mittlerweile 10.000 Ukrainer auf der Insel durchlaufen haben. In diesem Jahr soll sich die Zahl verdoppeln.

London ist Kiews engster Partner

Unvergessen bleibt in Kyiv und London, dass das Königreich bereits im Januar vergangenen Jahres Defensivwaffen in den Osten schickte, als andere Verbündete noch über die Lieferung von Helmen nachdachten – die beiden Frachtflugzeuge aus England mussten damals aus diplomatischer Rücksicht den deutschen Luftraum meiden.

Die frühzeitige Bereitstellung panzerbrechender Waffen trug zum Zusammenbruch des russischen Angriffs auf Kyiv bei. Die ukrainische Propaganda veröffentlichte damals kleine Filmchen, auf denen ihre Soldaten britische Waffen auf russische Panzer abfeuerten und dazu „God save the Queen“ riefen.

Danke, Britannien. Danke, Boris.

Wolodmyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Gerade zu Beginn des Kriegs stärkte der damals durch die Lockdown-Partys in der Downing Street in Bedrängnis geratene Johnson dem Präsidenten durch beinahe tägliche Telefonate den Rücken. Der Brite wagte als erster westlicher Regierungschef im April die Reise nach Kyiv. Seither ist der 58-Jährige immer wieder, zuletzt im Januar, vor Ort gewesen, stets von der Bevölkerung begeistert empfangen. Darauf nahm Selenskyj im Parlament Bezug, indem er sagte: „Danke, Britannien. Danke, Boris.“

Bei seiner Redner in der 900 Jahre alten Westminster Hall, durch deren bunte Glasfenster gleißendes Februar-Sonnenlicht strömte, wurde der Präsident immer wieder durch Applaus und Begeisterungsrufe unterbrochen. Zu standing ovations kam es nur deshalb nicht, weil die Zuhörer während der 23-minütigen Rede stehen mussten.

Der britsiche Premier Sunak und der ukrainische Präsident Selenksyj vor 10 Downing Street.
Der britsiche Premier Sunak und der ukrainische Präsident Selenksyj vor 10 Downing Street.

© ZUMA Press Wire / Zuma Press

Sowohl von wartenden Passanten vor der Downing Street wie von den Mitarbeitern des Premiers in seinem Amtssitz wurde der Präsident mit warmem Applaus empfangen. Nach dem Arbeitsgespräch, der Ansprache im britischen Parlament und der Audienz bei König Charles, wollten Selenskyj und Sunak gemeinsam in die westenglische Grafschaft Dorset fahren, wo Infanteristen moderne Kriegsführung nach westlichem Muster lernen.

Premier Sunak hatte seinen prominenten Besucher höchstpersönlich am Flughafen abgeholt.

Tägliche Telefonate zu Kriegsbeginn

In den letzten Tagen hatte London der Ukraine zudem die Ausbildung von Piloten zugesagt. Kiew hofft nach der angekündigten Lieferung schwerer Panzer als nächstes auf westliche Kampfjets, um die russische Lufthoheit über dem Kriegsgebiet in der Süd- und Ostukraine herausfordern zu können.

Die Hilfe für die Ukraine war auf der Insel von vornherein in Politik und Gesellschaft beinahe unumstritten. Angeführt wurde sie von Boris Johnson. Bereits im Januar vergangenen Jahres, als viele andere Europäer noch von diplomatischen Lösungen träumten, warnte der damalige Premierminister vor einer „schmerzhaften und blutigen Invasion“ des Landes durch seinen viel größeren Nachbarn.

Der britische Premier holte seinen Gast höchstpersönlich vom Flughafen ab.
Der britische Premier holte seinen Gast höchstpersönlich vom Flughafen ab.

© APA Images via ZUMA Press Wire /

Am Mittwoch betonte Selenskyj seine „sehr guten Beziehungen zu Rishi“, was der Premier strahlend zur Kenntnis nahm. Im Dezember hatte ein BBC-Bericht für Aufregung in London gesorgt: Angeblich hatte der frühere Investmentbanker Sunak das Verteidigungsministerium um eine „Bestandsaufnahme“ der Kriegssituation gebeten, was als Vorbereitung auf verringerte Militärhilfe interpretiert wurde. Aus der Downing Street wurde diese Einschätzung heftig dementiert.

Wie unumstritten die militärische und humanitäre Unterstützung für das angegriffene Land auf der Insel ist, unterstrichen sämtliche Oppositionssprecher im Unterhaus. Labour-Chef Keir Starmer sprach von seinem „Glauben an den ukrainischen Sieg“.

Präsident Wladimir Putin und dessen engste Gefolgsleute sollten sich für ihren Angriffskrieg vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen, forderte der frühere Chef der englischen Staatsanwaltschaft.

Erleichtert wird den Briten ihre klare Haltung dadurch, dass die bilateralen Beziehungen der Insel zu Russland seit Jahren eisiger kaum sein könnten. Vor Kriegsbeginn bezogen die Briten lediglich drei Prozent ihres Gasbedarfs von dem Aggressor. Putin bezeichnet die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der Welt gern abfällig als „kleine Insel“; aus russischer Sicht stellt das Brexit-Land wenig mehr dar als den Wurmfortsatz der Vereinigten Staaten.

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