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Politik: Erst innerer Wandel, dann Annäherung - Die Slowaken schließen Frieden mit ihrem "historischen Feind" und Nachbarn Ungarn

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Allerdings nur in der Paria-Ecke.

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Allerdings nur in der Paria-Ecke. Aus dieser wieder herauszukommen, ist dann nicht leicht. Das gilt auch für Staaten. Die Slowakei, geführt in die Unabhängigkeit vor sieben Jahren von dem populistischen Autokraten Vladimír Meciar, hat zwar sein Regime vor anderthalb Jahren abgewählt, leidet unter den von ihm angerichteten Schäden aber immer noch. Vor allem unter einem Mangel an Interesse der internationalen Gemeinschaft. Als Meciar noch den Nationalismus schürte und die größte Minderheit im Lande, die ungarische, unterdrückte, die slowakische Gesellschaft polarisierte, die Wirtschaft unter seinem Hofstaat aufteilte und das außenpolitische Heil erneut in einem Intrigenspiel mit alten Machtstrukturen in Moskau suchte, sorgte all dies im (westlichen) Ausland für Schlagzeilen. Die gute Entwicklung, die die Slowakei seit dem Herbst 1998 vollzogen hat, wird jedoch nach dem Motto "good news no news" nur wenig zur Kenntnis genommen.

Die entschlossene Reformpolitik und der klare Westkurs der heutigen demokratischen Koalition unter Mikulás Dzurinda und Staatspräsident Rudolf Schuster in Bratislava (Pressburg) haben aber auch für Europa einen latenten Krisenherd aus dem Weg geräumt. Das Land zwischen Donau und Hoher Tatra holt die Verspätung gegenüber seinen post-sozialistischen Nachbarn Polen, Tschechien und Ungarn energisch auf, um diesen möglichst bald in die Nato zu folgen und dann gemeinsam die Hürde der EU-Aufnahme zu nehmen.

Langfristig vielleicht allerdings der wichtigste Beitrag Pressburgs für Europa ist die Annäherung an Budapest. Somit sind die Slowaken heute gewissermaßen weiter als die Tschechen, ihre früheren Schicksalsgenossen in der Tschechoslowakei. Während sich ihre einstigen Mitbürger im Westen mit der Vergangenheit und ihren Gefühlen den Deutschen gegenüber immer noch schwer tun, haben die Slowaken mit "ihrem historischen Feind" den Frieden geschlossen: mit den Ungarn. Und davon profitieren vor allem sie selbst. Die Slowakei kann nun im Einklang mit ihrer geografischen Lage und ohne geschichtliche Hypotheken ihren angestrebten Weg nach Europa beschreiten. Mit ihren Nachbarn zusammen.

Dabei war der Anfang alles andere als einfach. Alte Ängste behinderten lange die Einsicht, dass sich auch Ungarn gewandelt hat und keine Gefahr für die slowakische Nationalidentität mehr ist. Nach dem furiosen Aufbruch in der Wendezeit, als sich der damals noch gemeinsame tschecho-slowakische Präsident Václav Havel für das Unrecht der Vertreibung entschuldigte und die allgemeine Euphorie alle Probleme der vorkommunistischen Vergangenheit zu überbrücken schien, verhedderte sich die Entwicklung auch in der Slowakei im Spinnennetz alter Schuldfragen. Recht bald hatten die politischen Opportunisten sowohl in Prag als auch in Pressburg außerdem den Wert der "drohenden sudetendeutschen Ansprüche" (die einen) und der "ungarischen Irredenta" (die anderen) für ihre kurzsichtigen Machtziele entdeckt. Die schlummernden Vorurteile wurden aktiviert, um von aktuellen Defiziten abzulenken.

Inzwischen sind die ungarischen Bürger der Slowakei an der Pressburger Regierung beteiligt, und der slowakische Präsident Schuster, selbst ein Angehöriger der deutschen Minderheit, führt die Kooperation mit dem Nachbarn im Süden offensiv an. Vergleichbares in Tschechien, im Hinblick auf die Sudetendeutschen, wäre heute noch unvorstellbar. Und Schuster wird nicht müde, um die medialen Informationsdefizite zu beheben und die guten Nachrichten im Ausland selbst zu überbringen. So hatte er bei seinem Besuch in Berlin im Januar, dem zweiten binnen kurzer Zeit, auf eine weitere, in Brüssel und Straßburg willkommene Entwicklung aufmerksam gemacht: auf die durch den inneren Wandel in der Slowakei ermöglichte Wiederannäherung an Tschechien (sozialpolitisch und wirtschatlich) und die Wiederbelebung der Kooperation der sogenannten Visegrader Vierergruppe (Warschau, Prag, Pressburg, Budapest). Konkrete Formen nahm beides im vorigen Herbst an, als die Pressburger Regierung unter anderem die Option einer doppelten Staatsbürgerschaft mit Tschechien beschloss, oder etwa als die Visegrader Vier, von der slowakischen Initiative angetrieben, bei einem Gipfeltreffen Anfang Dezember eine engere Koordinierung ihrer Zusammenarbeit in Angriff nahmen. Nicht mehr in Rivalität, sondern sich gegenseitig solidarisch stützend wollen diese vier Staaten die Zielgerade vor der EU-Aufnahme passieren. Mit diesem regionalen Integrationskurs macht die Slowakei auch auf sich selbst nun positiv aufmerksam, was für die EU-Nachbarn wiederum Anlass zur aktiveren Unterstützung ist.

Alexander Loesch

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