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Politik: „Es drohen Rückschritte bei Menschenrechten“

Afghanischer Experte fürchtet Zugeständnisse von Präsident Karsai an die Taliban

Die Sorge, dass Verhandlungen mit den Taliban Einschnitte in Menschenrechtsfragen bedeuten, wird immer größer. „Wenn diese Friedensgespräche hektisch und unüberlegt geführt werden, wird eine Gruppe moralisch gestärkt, die die Menschenrechte missachtet“, sagt der Vize-Chef der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission, Fahim Hakim, der zurzeit zu Gesprächen in Berlin ist. Stattdessen müssten Gespräche mit den Taliban klare Kriterien erfüllen, darunter, dass alle Gesprächspartner die afghanische Verfassung vorbehaltlos akzeptieren.

Schon länger zeichnet sich ab, dass Präsident HamidKarsai konservative Gruppen stärker in die Politik mit einbezieht, die nicht militant sind, gesellschaftlich aber ähnliche Werte wie die Taliban vertreten. Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen sagt: „Karsai stabilisiert durch taktische Zugeständnisse an diese nicht militanten Gruppen seine Machtposition.“ Künftig sollen auch die Taliban mit einbezogen werden. Wenn es Zugeständnisse an Gruppen mit organisierter Macht gebe, sei klar, dass Gruppen, die weniger organisiert und mächtig sind, den Preis dafür bezahlen müssen. „Und da bieten sich die Frauen an“, sagt Hippler. Möglicherweise könne auch das Thema Korruption eine Rolle spielen, da auch sie ein entscheidender Kritikpunkt der Taliban sei.

Hakim fordert von den westlichen Staaten und Nichtregierungsorganisationen, die afghanischen Menschenrechts- und Frauenrechtsgruppen stärker zu unterstützen. „Wenn diese Gruppen nicht international Unterstützung erfahren, werden sie an Bedeutung verlieren“, warnt er. Die politischen Strukturen, die seit der westlichen Intervention in Afghanistan geschaffen wurden, seien ohnehin nicht günstig, um Frauenrechte durchzusetzen, meint Deniz Kandiyoti, Entwicklungswissenschaftlerin an der Londoner School of Oriental and African Studies. Die starke Zentralisierung des Staates führe dazu, dass die Paschtunen als Mehrheitsethnie eine viel stärkere Machtposition haben, während die Koalitionen im Parlament instabil sind und der Präsident eine sehr starke Rolle einnimmt. Die „neuen Technokraten“, die eher Menschenrechte vorantreiben würden, hätten in diesem Gefüge eine schwache Stellung. „Das ist kein Ergebnis der afghanischen Kultur, sondern davon, wie das politische System angelegt wurde“, sagt Kandiyoti.

Nach dem Sturz der Taliban verpflichteten sich die in Afghanistan präsenten Nato-Staaten, die Menschenrechte voranzubringen. „Doch von hohen Zielen wie Demokratie und Menschenrechten haben sich die westlichen Regierungen in den letzten Jahren immer mehr verabschiedet“, sagt Hippler. Vor kurzem sei aus einem geheimen Gespräch gar eine Äußerung des britischen Botschafters in Afghanistan bekannt geworden, man sei mit einer Militärdiktatur möglicherweise besser bedient, um die eigenen Ziele in Afghanistan zu erreichen. „Wenn der Abzug kommt, wird das Thema Frauenrechte für die westlichen Regierungen wohl eher als PR-Problem angesehen werden“, sagt Hippler. Dann wird es möglicherweise so dargestellt werden, als sei Afghanistan nun einmal eine Stammesgesellschaft, an der sich nichts ändern lässt. „Dabei haben wir doch eine Legislative, Exekutive und Judikative, es gibt keinen Grund, parallel dazu ein Stammessystem weiterzuführen“, sagt Hakim. Er weist darauf hin, dass das Stammessystem auch während der Taliban-Herrschaft eine untergeordnete Rolle gespielt habe.

Formal ist seit 2001 in Afghanistan durchaus eine Verbesserung der Geschlechtergleichheit erreicht worden. Es gibt mehr weibliche Abgeordnete als die Quote festlegt, ein Frauenministerium, internationale Verträge wurden unterschrieben. Doch bei der Umsetzung, gerade in den ländlichen Gebieten, gibt es große Defizite.Hakim sagt, seiner Regierung fehle der politische Wille, Frauen systematisch zu unterstützen. Gerade deshalb plädiert er dafür, alle politisch aktiven Gruppen in Afghanistan in die Verhandlungen mit den Taliban mit einzubeziehen.

Karin Schädler

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