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Politik: "Es geht mir nicht um hohles Pathos"

Herr Heil, woran liegt es, dass die Union und Kanzlerin Merkel in den Umfragen dastehen wie die Weltmeister, während die SPD sich vor dem Abstieg in die Kreisliga hüten muss? Im Bund kommt die Union in den Umfragen derzeit ganz gut weg, aber das irritiert uns überhaupt nicht.

Herr Heil, woran liegt es, dass die Union und Kanzlerin Merkel in den Umfragen dastehen wie die Weltmeister, während die SPD sich vor dem Abstieg in die Kreisliga hüten muss?

Im Bund kommt die Union in den Umfragen derzeit ganz gut weg, aber das irritiert uns überhaupt nicht. Am 26. März wird nicht im Bund, sondern in den Ländern gewählt. Und da sieht es gut aus: In Rheinland-Pfalz liegen Kurt Beck und die SPD deutlich vorne. In Baden-Württemberg ist Amtsinhaber Oettinger bei den persönlichen Werten stark eingebrochen. Und in Sachsen-Anhalt hat Jens Bullerjahn gute Chancen, Ministerpräsident zu werden. In jedem Fall kommt die SPD dort in die Regierung. Es gibt also keinen Grund, schwarz zu sehen.

Trotzdem ist die SPD nervös.

Ich erlebe keine Nervosität, sondern gespannte Aufmerksamkeit. Unsere Leute erwarten, dass wir in der großen Koalition saubere Arbeit leisten.

Würden Sie sagen, dass die Parteiführung und Vizekanzler Franz Müntefering dieser Erwartung beim Streit um die Rente mit 67 gerecht geworden sind?

In der Sache gibt es in dieser schwierigen Frage keinen Streit. Denn wir können nicht die Augen davor verschließen, dass der Altersaufbau in der Gesellschaft sich geändert hat. Deswegen brauchen wir eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters bis 2029, wenn wir die Rentenkürzungen für die heutige Rentnergeneration vermeiden und die Altersversorgung für die Jüngeren gewährleisten wollen. Zugleich müssen wir die Chancen der Älteren auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Man kann den Menschen schlecht abverlangen, länger zu arbeiten, wenn es keine Arbeit für sie gibt. Außerdem muss klar sein, dass jeder 65-Jährige mit vollen Bezügen in Rente gehen kann, wenn er 45 Jahre gearbeitet hat.

Die Wahlkämpfer Kurt Beck und Ute Vogt fordern berufsspezifische Ausnahmen, etwa für Dachdecker und Krankenschwestern. Vizekanzler Müntefering lehnt dies ab, SPD-Chef Matthias Platzeck hält sich bedeckt. Was gilt denn nun?

Diese Debatte ist notwendig und muss im Gesetzgebungsprozess geführt werden. Einige Experten sagen, dass berufsspezifische Unterscheidungen schwierig sind. Unser Sozialminister hat in dieser Woche im Bundestag klar gemacht, dass wir etwas für diejenigen tun werden, die körperlich nicht mehr in der Lage sind, bis 67 zu arbeiten. Noch mal: Die SPD-Spitze ist sich in der Sache einig. Ich gebe aber zu, dass die Entscheidung besser hätte vorbereitet werden müssen.

Sie meinen, Franz Müntefering hätte nicht im Alleingang entscheiden dürfen?

Nein. Ich meine, wir alle hätten das besser koordinieren müssen.

Kann es angehen, dass der Vizekanzler den Parteivorsitzenden bei so einer wichtigen Sache übergeht?

Um diese Frage geht es nicht. Wir alle haben aus diesem Prozess gelernt. Für die Zukunft gilt, dass Entscheidungen, die so massiv in das Leben der Menschen eingreifen, ordentlich diskutiert werden müssen, bevor man sie verkündet. Das ist auch die Lehre aus den sieben zurückliegenden Regierungsjahren: Man muss die Menschen stärker mitnehmen.

Ist Platzeck oder Müntefering die Nummer eins in der Gesamtaufstellung der SPD?

Matthias Platzeck ist unser Parteichef und damit auch die Nummer eins.

Und Müntefering akzeptiert das?

Ja. Wir haben mit Matthias Platzeck, Franz Müntefering, Peter Struck und Kurt Beck ein Führungsquartett, das vertrauensvoll zusammenarbeitet, auch wenn es sich um unterschiedliche Charaktere handelt. In dieser Aufstellung liegt für die SPD eine große Chance.

Müntefering hat Platzeck im SPD-Präsidium Kreisliganiveau attestiert. Das hört sich nicht nach großem Vertrauen an.

Ich pflege nicht aus dem Präsidium zu plaudern, aber diese Bemerkung zielte nicht auf Matthias Platzeck, sondern auf andere Parteifreunde...

...die ihm den Wechsel ins Bundeskabinett nahe gelegt hatten?

Der Vorschlag war nicht hilfreich. Es bleibt dabei: Matthias Platzeck wechselt in dieser Legislaturperiode nicht ins Kabinett. Im Übrigen finde ich, dass die momentane Debatte in einem gewissen Missverhältnis steht zur Tragweite der tatsächlichen Sachentscheidungen. Die SPD nimmt die Herausforderungen, die sich mit dem veränderten Altersaufbau in der Gesellschaft und der wirtschaftlichen Globalisierung ergeben, in der großen Koalition mutig an. Wir sorgen dafür, dass wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit miteinander verbunden werden.

Müntefering sieht die Rolle der SPD vor allem darin, Reformmotor der Koalition zu sein. Glauben Sie, dass die SPD-Wählerschaft Ihnen das danken wird?

Ja, wir sind der Motor der sozialen Erneuerung Deutschlands. Wir müssen Politik aber immer auch erklären und in den richtigen Zusammenhang stellen. Es geht nicht nur um die Notwendigkeit von Reformen, sondern auch um den sozialen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit. Beides gehört zusammen. Gesellschaften, die immer mehr Menschen von der Teilhabe an Bildung und Erwerbsarbeit ausschließen, können ökonomisch nicht mehr erfolgreich sein und ihren sozialen Frieden nicht wahren.

Sie haben beklagt, dass sich die Union in der Koalition auf dem Sonnendeck aalt, während die SPD im Maschinenraum schwitzt. Was wollen Sie gegen diese Arbeitsteilung tun?

Die Union muss stärker als bisher mit anpacken. Absetzbewegungen wie bei der Rente mit 67 dürfen sich nicht wiederholen. Dafür muss auch die Bundeskanzlerin sorgen. Sonst kann die Koalition keinen Erfolg haben.

Warum wird die SPD in einer dramatischen Phase der Weltpolitik kaum als außenpolitischer Akteur wahrgenommen, obwohl sie den Außenminister stellt?

Diese Einschätzung teile ich nicht. In der Außenpolitik geht es in erster Linie nicht um spektakuläre Auftritte. Die SPD ist stolz auf Frank-Walter Steinmeier. Er macht einen hervorragenden Job in diesen schwierigen Zeiten. Seine Arbeit hilft bei der Lösung gefährlicher Konflikte und Entführungsfällen. Er ist an der Sache orientiert, nicht an schnellen Schlagzeilen. Das unterscheidet ihn etwa vom Berliner CDU-Kandidaten Friedbert Pflüger. Dieser selbsternannte Weltstaatsmann hat der Regierung Schröder in der Debatte über den Irak-Krieg unterstellt, sie verheimliche der Öffentlichkeit die Existenz von irakischen Massenvernichtungswaffen. Inzwischen weiß jeder, dass der Irak entgegen der von Pflüger nachgebeteten Propaganda über solche Waffen gar nicht verfügte. Es wäre an der Zeit, dass Herr Pflüger seine Fehler öffentlich eingesteht, nachdem er damals so auf die Pauke gehauen hat.

Der forsche Auftritt der Kanzlerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegenüber Iran hat in der SPD bis in die Parteispitze hinein Unbehagen ausgelöst. Befürchten Sie einen Kurswechsel in der Außenpolitik?

Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin in der Außenpolitik keinen anderen Kurs einschlagen will, als wir Sozialdemokraten ihn seit Jahren verfolgen.

Aber Sie wissen es nicht?

In der Iran-Debatte wird die SPD keine Militarisierung des Denkens zulassen. Im Ziel ist sich die internationale Staatengemeinschaft einig: Der Iran darf keine Atomwaffen bekommen. Der strategische Schlüssel zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts könnte in Russland liegen. Die von Gerhard Schröder entwickelte strategische Partnerschaft mit Russland wird uns in diesem Konflikt helfen.

Alarmiert sind Sozialdemokraten auch, weil die Kanzlerin Iran mit dem NS-Regime in den 30er Jahren verglichen hat und vor „Appeasement“-Politik warnt.

Nazi-Vergleiche in der Politik sind immer schwierig. Historische Parallelen drängen sich zwar leicht auf, wenn ein iranischer Staatspräsident die Vernichtung Israels fordert. Als Freunde und Partner Israels treten wir den furchtbaren Äußerungen des iranischen Präsidenten mit Entschiedenheit entgegen. Gleichzeitig lasse ich mich nicht auf eine Diskussion ein, die Krieg als erstes und einziges Mittel denkt. Wir müssen einen friedlichen Weg finden.

Herr Heil, mit 33 Jahren sind Sie Generalsekretär und damit Bannerträger der ältesten deutschen Partei geworden. Was steht auf Ihrer Fahne?

Die Grundwerte der SPD, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Sie sind auch heute noch gleichrangig gültig. Wir müssen aber deutlich machen, was sie heute konkret bedeuten. Die Sozialdemokratie ist 1863 vor allem als Emanzipationsbewegung, als Partei der Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben gegründet worden. Es ging darum, dass nicht die soziale Herkunft das ganze Leben vorherbestimmt, es ging darum, Barrieren beiseite zu räumen und Chancen für alle zu ermöglichen. Das ist eine hochaktuelle Aufgabe.

Wen gilt es heute zu befreien?

Beispielsweise Kinder. Es ist doch eine ungeheure Herausforderung für uns, wenn in Deutschland die soziale Herkunft weit stärker als in anderen Industrienationen über Bildungs- und Aufstiegschancen bestimmt. Uns geht es auch um Frauen, die arbeiten wollen, das aber wegen der schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie schlechter können als Männer. Und es geht uns darum, dass nur die Arbeit sozial ist, von der Menschen auch leben können. Ein großer französischer Sozialist hat eine sehr schöne Formel gefunden: Tradition für Sozialdemokraten heißt nicht, Asche aufzubewahren, sondern eine Fackel weiterzugeben.

Sind Sie ein Anhänger von mehr Pathos in der Sozialdemokratie?

Nein, es geht mir nicht um hohles Pathos.

Pathos heißt auf Deutsch Leidenschaft.

Politik braucht Leidenschaft und Verstand. Ich möchte, dass die SPD ihre Werteorientierung und Visionen stärker in den Vordergrund stellt. Wir haben in der alten Regierung viele wichtige Reformen verabschiedet. Aber wir haben nicht deutlich genug gemacht, wofür und für wen wir diese Reformen machen. Wenn Sie eine Reform Hartz IV nennen, können Sie sie auch Godzilla III nennen, das wirkt ebenso abstoßend wie nichtssagend. Politik fängt damit an, zu sagen, was ist und welche Ziele man erreichen will. Sozialdemokrat zu sein, heißt: Realität anzuerkennen, um sie im Interesse der Menschen zu verändern. Von diesem Satz werden wir uns bei der Debatte um das neue Grundsatzprogramm leiten lassen, die wir bis Ende 2007 abschließen werden.

Gerhard Schröder wird wohl noch vor den Landtagswahlen vom 26. März seinen Posten bei Gasprom antreten. Wäre es Ihnen lieber, er würde darauf verzichten?

Das ist eine private Entscheidung Gerhard Schröders. Ich fand die Debatte zu diesem Thema ziemlich verlogen, weil der Vorwurf mitklang, der ehemalige Kanzler sei käuflich. Ich habe an der Integrität Gerhard Schröders keinen Zweifel. Im Übrigen: Die Ostsee-Gaspipeline ist hochgradig in deutschem Interesse.

Bemüht sich die SPD darum, Schröder als Wahlkämpfer für die Landtagswahlen zu gewinnen?

Wir freuen uns über Auftritte Gerhard Schröders. In Rheinland-Pfalz ist er dabei. Er ist ein begnadeter Wahlkämpfer. Wir wären dumm, wenn wir auf seine Unterstützung und seinen Rat verzichten würden.

Das Gespräch führten Hans Monath, Tissy Bruns und Stephan Haselberger.

Das Foto machte Thilo Rückeis.

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