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Politik: Es geht um die Macht

In Pakistan eskalieren die Proteste gegen Präsident Pervez Musharraf – mindestens 39 Menschen sterben

Berlin - Dem Präsidenten dürfte nicht bewusst gewesen sein, was für eine Lawine er lostreten würde. Vor zwei Monaten, am 9. März, ließ Pakistans Staatschef und oberster Militär Pervez Musharraf den Obersten Richter des Landes Iftikhar Mohammad Chaudhry aus dem Amt entfernen. Der Vorwurf: Chaudhry habe seinem Sohn einen Spitzenposten bei der Polizei zugeschanzt und anderweitig seine Position missbraucht.

Doch viele Pakistanis sahen in der Entlassung den Versuch Musharrafs, einen unangenehmen Gegner loszuwerden, der der relativ unumschränkten Herrschaft des Präsidenten gefährlich werden könnte. Es folgten Proteste vor allem von Anwälten, die im Lauf der Wochen immer heftiger und zur Demonstration gegen die Herrschaft des Militärs wurden. Am Wochenende dann erlebte Pakistan die schwersten politischen Krawalle seit Jahren. In Karachi, der Millionenstadt im Süden, starben bei angekündigten Protesten mindestens 39 Menschen, weit mehr als hundert wurden verletzt.

Schon in den Tagen zuvor war die Stimmung in der riesigen Hafenstadt angespannt. Etwa 500 Aktivisten von Oppositionsparteien seien verhaftet worden, schreibt die pakistanische „Daily Times“, die Polizei spricht von 170 Verhaftungen. Am Freitag, einen Tag vor der Kundgebung, wurden ganze Straßenzüge abgesperrt und zum Teil mit riesigen Schiffscontainern blockiert. Am Samstag sollte Chaudhry dann von Islamabad aus anreisen. Er schaffte es nur bis zum Flughafen von Karachi.

Schon am Wochenende zuvor war Chaudry in einem wahren Triumphzug zu einer Kundgebung in die Stadt Lahore nahe der indischen Grenze gereist. Am Samstag nun hatte der Richter seine Heimatstadt Islamabad in einem Regen aus Rosenblättern verlassen, mit dem ihn viele Anwälte feierten. Als er aber in Karachi ankam, war die Gewalt eskaliert. Tote Demonstranten lagen auf der Straße, Journalisten des privaten Senders Aaj TV berichteten, die Polizei sehe den Straßenkämpfen tatenlos zu.

Oppositionsführer, darunter Anhänger der im Exil lebenden Ex-Regierungschefin Benazir Bhutto, werfen der Muttahida Quaumi Bewegung (MQM) vor, an dem Blutbad Schuld zu sein; nach Berichten der Agentur AP hatten MQM-Mitglieder zuerst auf Chaudhry-Anhänger geschossen. Die MQM, die in Karachi das Sagen hat und Präsident Musharraf unterstützt, behauptet das Gegenteil.

Bis zum Wochenende hatte Musharraf offenbar darauf gesetzt, dass die Proteste von selbst abklängen. Am Samstag aber lud er in Islamabad zur Gegendemonstration. Erwartet wurden etwa eine halbe Million Teilnehmer, ein TV-Sender berichtete dann von etwa 30 000 bis 50 000, auf die außerdem kostenloses Essen und Trinken wartete. Der Präsident, der seine Rede hinter einer Scheibe aus kugelsicherem Glas hielt, sagte, sein „Herz blute“ beim Anblick der Bilder aus Karachi. Den Ausnahmezustand werde er aber nicht verhängen. Genau darüber aber wird in Pakistan seit Wochen spekuliert: Dass Musharraf die Unruhen nutzen könnte, um die eigentlich für Herbst angesetzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu verschieben.

Seit Musharraf 1999 durch einen Militärputsch gegen Premier Nawaz Sharif an die Macht gekommen ist, hat er immer wieder angekündigt, Pakistan weiter in Richtung Demokratie zu führen. Dazu gehört aber, dass er als Präsident nicht mehr zugleich oberster Befehlshaber der Streitkräfte bleibt. Die Uniform abzulegen, hat Musharraf zwar mehrfach angekündigt, große Ambitionen, dies in die Tat umzusetzen, aber bisher nicht gezeigt. Unruhe und verschobene Wahlen könnten, so die Mutmaßung, ein willkommenes Argument dafür sein, dass der Staatschef schon aus Verantwortung dem Land gegenüber seine Ämter noch nicht abgeben kann.

Hier kommt Chaudhry wieder ins Spiel. Der Richter hatte im vergangenen Jahr durch unabhängige Entscheidungen die Regierung irritiert und mehrfach Informationen über Menschen verlangt, die der mächtige Geheimdienst Pakistans verschleppt haben soll. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind, seit sich Islamabad Ende 2001 dem von den USA geführten „Krieg gegen den Terror“ angeschlossen hat, mehr als 400 Menschen „verschwunden“. Der Oberste Richter hatte also gezeigt, dass er den Staatschef nicht fürchtet. Und demnächst hätte auch ein Urteil über die Wiederwahl des Präsidenten angestanden.

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