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Politik: „Es gibt berechtigte Kritik am G-8-Gipfel“

Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Ringstorff über das Welttreffen, sein Land und die Lage der SPD

Mecklenburg-Vorpommern wird nach dem G-8-Gipfel als weltweit attraktiver Standort für Großtagungen etabliert sein.

Darüber wären wir in der Tat auch gar nicht traurig. Wir wollten uns ja durch die Übernahme dieses Ereignisses international empfehlen. Nicht zuletzt um unserem Tourismusgewerbe Rückenwind zu geben. Wenn man solch hochrangige Gäste aus aller Welt zu Gast hat, muss man freilich auch außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen vorhalten. Zumal nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Aber sind die Maßnahmen, die man derzeit beobachtet und diskutiert, wirklich verhältnismäßig – die Razzien, Versammlungsverbote, sogar Überlegungen zum Unterbindungsgewahrsam? Muss man den Protest wirklich völlig vom Ereignis fernhalten?

Das Land tut schon einiges, um den Globalisierungsgegnern eine Bühne für ihre Anliegen zu bieten. Wir haben versucht, zum Teil auch mit Erfolg, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Hier an diesem Tisch in der Schweriner Staatskanzlei hat auch schon der Attac-Chef gesessen und deutlich gemacht, dass auch ihm sehr daran gelegen ist, dass die Proteste friedlich bleiben. Andernfalls würden Bilder von Ausschreitungen und Krawallen in die Welt gesendet, und die eigentlichen Themen, die die Globalisierungsgegner bewegen, würden nicht durchkommen. Leider ist nicht alle Welt so friedlich, wie wir das wünschen und wie es auch der große Teil der Globalisierungskritiker ist.

Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Bundesregierung?

Ich kann die Maßnahmen, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble angeordnet hat oder erwägt, nicht abschließend beurteilen. Aber Tatsache ist, dass richterliche Anordnungen dahinterstehen. Und nach meiner Kenntnis wurde nur dort durchsucht, wo Bekennerschreiben zu Gewaltaktionen ihren Ursprung gehabt haben sollen. Ich weiß als Ostdeutscher aber sehr wohl, was Demonstrationsfreiheit bedeutet, und möchte sie keinesfalls eingeschränkt sehen. Doch wer mit dem Vorsatz nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, Straftaten zu begehen, dem muss man dann auch mit dem Gesetz begegnen. Ich plädiere aber auch hier für Augenmaß und Gelassenheit: Man muss nicht bei jeder Ordnungswidrigkeit einschreiten. Wenn sich einige Demonstranten auf eine Straße setzen, um zu blockieren, muss man nicht gleich mit einer Hundertschaft Polizei anrücken.

Wie viel Verständnis haben Sie für die Anliegen der G-8-Kritiker?

Ich habe zum Teil durchaus Verständnis dafür, denn die Themen, die in Heiligendamm behandelt werden – Afrika und das Klima –, sind eminent wichtig. Und wenn die Kritiker daran erinnern, dass bisher nicht alles erreicht worden ist, was man bei früheren Treffen vereinbart hat, dann ist das legitim. Man darf schon daran erinnern, dass nicht nur Beschlüsse gefasst werden sollen, sondern dass man diese auch in die Tat umsetzt. Da gibt es doch berechtigte Kritik, etwa am Umfang der Entwicklungshilfe, die zugesagt worden ist. Ich weise darauf hin, dass der Sänger Bono sich dazu in den vergangenen Tagen deutlich geäußert hat. Man muss allerdings auch sagen, dass dieser Gipfel sich nicht gegen den Rest der Welt wendet, wie manche Kritiker meinen.

Ist der Tourismus die Zukunft Mecklenburg-Vorpommerns?

Ja, aber nicht alleine. Wir haben hier seit 1990 große Fortschritte gemacht. Beim Sommertourismus sind wir die Nummer eins unter den deutschen Ländern. Allerdings haben wir noch Nachholbedarf bei Auslandstouristen. Da peilen wir eine Steigerung von 400 000 bis 500 000 Übernachtungen an. Wir wissen allerdings, dass es für viele noch eine gewisse Hemmschwelle gibt, nach Mecklenburg- Vorpommern zu kommen. Der entscheidende Punkt ist aber: Viele von denen, die einmal da waren, kommen wieder. Man hat gesehen, dass das Land nicht nur Sandstrände hat, sondern eine attraktive Kultur und Natur zu bieten hat, hübsche Schlösser, eine interessante Bäderarchitektur, eine beeindruckende Backsteingotik … Aber international ist das noch zu wenig bekannt. Insofern ist für uns der G-8-Gipfel eine Werbemaßnahme, deren Wert man in Geld gar nicht beziffern kann. Wir wollen uns als weltoffenes Land präsentieren, Krawalle würden dieses Bild trüben und uns schaden.

Viele Westdeutsche scheuen sich auch noch, im Osten Urlaub zu machen. Stellen sich die ostdeutschen Länder nicht gut genug dar? Kommt nicht – auch durch Klagen von Politikern – häufig der Eindruck rüber, wir sind noch nicht so weit?

Ach, da hat sich doch schon viel geändert. Traditionell waren die Sachsen die stärkste Gruppe, mittlerweile sind das die Gäste aus Nordrhein-Westfalen. Selbst aus dem Südwesten kommen immer mehr Touristen zu uns. Aber manche glauben halt immer noch, die Russen seien erst gerade abgezogen. Unsere Verkehrsinfrastruktur ist heute aber so gut wie im Westen, und dass es auch im Osten mittlerweile Sterneköche gibt, dürfte sich auch noch herumsprechen.

Wie sieht es denn in anderen Sektoren aus? Sie wollten doch zum Biotech-Land werden. Davon hört man nicht so viel.

Aber wir sind auf einem guten Weg – vom Entwicklungsland zum Zukunftsland. So hinterher, wie man das oft darstellt, ist das Land nicht Wir haben das dritte Jahr in Folge ein hohes Wachstum in der gewerblichen Wirtschaft, im vergangenen Jahr sogar ein Plus von mehr als elf Prozent, mit einem Anstieg der Beschäftigung von 4,6 Prozent. Unsere Wirtschaftsleistung wächst, obwohl wir die öffentlichen Leistungen zurückfahren. Mecklenburg-Vorpommern soll deutsches Gesundheitsland Nummer eins werden. Auch bei den Werften steigt die Produktion, wir haben hier einen Anteil von 30 Prozent der Kapazität in Deutschland. Und wir bekommen noch Ziel-1-Förderung der Europäischen Union, was für Unternehmensansiedlungen entscheidend sein kann. Für Exportbranchen sind die Häfen unseres Landes sehr attraktiv.

Sie klingen fast schon wie der Regierungschef eines Geberlandes.

Das wären wir auch gern, aber dahin ist es noch ein weiter Weg. Im Haushalt haben wir noch gehörige strukturelle Defizite. Aber wir strengen uns an. Wir haben 2006 neben Bayern und Sachsen als einziges Land einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt und werden demnächst beginnen, Schulden abzutragen.

Bereuen Sie es, dass sich das Land in den 90er Jahren so massiv verschuldet hat und das Ergebnis dies wohl gar nicht rechtfertigt?

Es war leider die Politik in den ersten Jahren, dass man nicht so genau hinschaute. Zudem geisterte in den Köpfen das Versprechen von den schnell zu schaffenden blühenden Landschaften. Man hat uns die Verschuldung ja geradezu empfohlen. Viele ostdeutsche Politiker haben hier wohl etwas zu sehr auf westdeutsche Vorschläge gehört. Nur Sachsen ist einen anderen Weg gegangen unter Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt, zwei Politiker aus dem Westen. In Sachsen hat man aber einen größeren Teil der Verschuldung den Kommunen aufgebürdet, was wir im Norden nicht gemacht haben. Das kann man heute sehen, wenn man über die Dörfer fährt. Da hat sich bei uns oft mehr getan.

Die SPD fordert bundesweite Mindestlöhne. Taugen die denn für eine Region, die sich aus dem Zustand eines Entwicklungslandes erst herausarbeitet? Die Durchschnittsgehälter in Mecklenburg- Vorpommern liegen ja immer noch unter dem gesamtdeutschen Niveau.

Hier geht es um etwas Grundsätzliches: Es darf nicht sein, dass jemand, der 40 Stunden in der Woche arbeitet, am Ende noch zum Sozialamt gehen muss, um Aufstockungsleistungen zu beantragen. Ein Monatsgehalt muss vielmehr ausreichen, um den Gang zum Sozialamt zu vermeiden. Daher ist es vernünftig, einen Mindestlohn einzuführen.

Wird das bald entschieden, oder schleppt sich die Debatte noch hin bis 2009?

Es wird jedenfalls bis dahin einige Verbesserungen geben, schon weil es eine Reihe von Arbeitgeberverbänden gibt, die einen Mindestlohn in ihrer Branche wollen, damit es gleiche Wettbewerbsbedingungen gibt. Hier kann ich mir Fortschritte vorstellen. Es kann aber auch bei der nächsten Wahl noch eine Rolle spielen. Es liegt letztlich an der Union.

Was lernt man aus der Bremen-Wahl?

Große Koalitionen stärken oft die Kleinen und die politischen Ränder. Also lautet die Lehre vielleicht: Große Koalitionen sind nicht das Nonplusultra in der Politik. Man bildet sie, um große Probleme lösen zu können oder wenn es keine andere Möglichkeit zur Regierungsbildung gibt. Aber sie dürfen nicht ewig dauern.

Dann muss Koalitionsfähigkeit aller Parteien in alle Richtungen gegeben sein. Ist es dann klug, Bündnisse mit der Linkspartei im Westen grundsätzlich auszuschließen?

Die SPD schließt Koalitionen mit der Linkspartei auf Bundesebene aus, das sehen übrigens auch die Ostverbände der Partei so. Das ist derzeit nicht möglich schon wegen der außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitischen Vorstellungen der Linken. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir mit der rot-roten Koalition durchaus eine erfolgreiche Politik betrieben. Für die haushaltspolitische Konsolidierung, die jetzt unter Rot-Schwarz fortgesetzt wird, wurden die entscheidenden Weichen in der alten Koalition unter Rot-Rot gestellt. Wir haben bewiesen, dass Rot-Rot funktionieren kann. Allerdings braucht das Land eine stabile Koalition, eine Stimme Mehrheit für eine Koalition mit der Linkspartei hätte das nicht garantieren können.

Was also im Osten funktioniert hat, kann auch im Westen klappen?

Der Westen hat andere historische Voraussetzungen. Im Osten hat es schon sehr früh Zusammenarbeit mit der PDS gegeben, auf lokaler und regionaler Ebene. Übrigens war da gerade auch die CDU nicht zimperlich. Im Westen gibt es keine Vorgängerpartei der Linken, sie ist noch ein neues Phänomen, das man erst beurteilen muss. Im Osten hat es zwei Millionen Mitglieder der SED gegeben, von denen ein Teil in der PDS weiter Politik machen wollte. Die wurden nicht von allen als die bösen Kommunisten wahrgenommen. In jeder zweiten Familie war doch irgendwo ein Mitglied der führenden Partei vorhanden. Es hat hier eben eine andere Wahrnehmung gegeben. Man kannte sich, man wusste, wen man jeweils vor sich hatte.

Am Parteichef gibt es einige Kritik, nach Umfragen sind viele SPD-Anhänger unzufrieden. Führt Kurt Beck die SPD schlecht?

Nein, er führt sie gut und wird in der Öffentlichkeit leider weit, weit unter Wert gehandelt. Ich sehe eine regelrechte Kampagne gegen ihn, aber er wird sie überstehen. Es gibt bei uns eine Redewendung: Daut wat jie wullt, de Lüd snackt doch (Sie können tun, was sie wollen, die Leute reden doch). Im Moment wird Kurt Beck vieles negativ ausgelegt. Er hat sich mit seinem kollegialen Führungsstil aber eine Menge Freunde geschaffen in der Partei, und das wird sich auszahlen.

Ist nicht eine Lehre aus Bremen, dass die SPD ihr soziales Profil schärfen muss?

Die SPD wird keine stärker populistische Politik machen, um mehr Wähler an sich zu binden. Wenn man Aussagen zu sozialer Gerechtigkeit, zu sozialer Politik macht, dann darf man die Augen vor der Realität nicht verschließen. Ich denke an die Rente mit 67, die meiner Ansicht nach unumgänglich ist. Dass gleichzeitig auch versucht werden muss, den älteren Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Arbeit zu erhalten, steht auf der anderen Seite des Blattes. Wenn die Rentenbezugsdauer dramatisch steigt, kann ich doch nicht so tun, als ob ich das alles aus dem bisherigen System finanzieren kann. Ich setze darauf, dass Solidität sich auf Dauer durchsetzt und Populisten nur sehr kurzzeitig strahlen.

Apropos Rente mit 67: Sie sind Jahrgang 1939, also schon über das künftige Einstiegsalter hinweg. Überlegt man sich da nicht öfter, was man im Ruhestand so alles tun könnte?

Ich komme im Moment gar nicht dazu, mir da Vorstellungen zu machen. Da ist einerseits der G-8-Gipfel, und durch die Bundesratspräsidentschaft bis November bin ich so in Fahrt, dass ich mir zurzeit keine Gedanken mache. Ich werde aber sicher nicht länger im Amt bleiben als Konrad Adenauer, und der war schon über 70, als er ins Amt kam.

Das Gespräch führten Andreas Frost und Albert Funk.

ZUR PERSON

SCHIFFBAUER

Harald Ringstorff (67) hat nach dem Chemiestudium in Rostock in der Schiffbaubranche gearbeitet. Zu DDR-Zeiten war er parteilos, 1989 gehörte er zu den Gründern der SPD in Rostock.

STEUERMANN

Seit 1990 ist er Landeschef der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, zweimal war er Vorsitzender der Landtagsfraktion, 1994–96 übernahm er in der damaligen schwarz- roten Regierung das Wirtschaftsressort.

KAPITÄN

1998 wurde Ringstorff Ministerpräsident in Schwerin. Bis 2006 regierte er mit der PDS – es war die erste rot-rote Koalition auf Landesebene –, seither ist die CDU der Partner.

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