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Politik: „Es ging damals und es geht heute vor allem um die Freiheit“

Der Afrikabeauftragte Günter Nooke über die Parallelen zwischen der Revolution von 1989 und den Volkserhebungen in Nordafrika

Herr Nooke, es heißt, die arabische Welt erlebe gerade einen Umbruch wie Osteuropa im Jahr 1989. Haben die Geschehnisse in Tunis, Kairo und Amman bei Ihnen Erinnerungen geweckt?

Ja natürlich. Denn wie wir 1989, gehen die Menschen in Arabien eben nicht für Brot auf die Straße, sondern protestieren gegen ein repressives, überkommenes Regime und fordern mehr Mitgestaltung in der Gesellschaft. Es ging damals und geht heute vor allem um die Freiheit – das ist auf jeden Fall eine Parallele. Nun greift Mubarak zu Mitteln, die mir auch bekannt vorkommen, sagt, die Unruhen seien vom Ausland geschürt, die Demonstranten seien kriminelle Elemente. Dabei stiften seine eigenen Leute Chaos.

Bei der Wahl im September will er nicht mehr antreten.

Da fallen mir Markus Wolf und Günter Schabowski auf dem Alexanderplatz ein, am 4. November 1989, wie sie sich für Reformen aussprechen. Die wurden ausgepfiffen dafür. Deren Zeit war vorbei. Und heute kann es meines Erachtens mit Mubarak nicht weitergehen.

Anders als 1989 besteht die Gefahr, dass am Ende radikale Islamisten die Macht übernehmen.

Wir können nicht Sonntagsreden halten über Demokratie und Freiheit, und wenn es dann ernst wird, den Eindruck erwecken, als seien wir nicht bei denen, die das fordern und umsetzen wollen. Wenn wir die eigene Glaubwürdigkeit nicht gefährden wollen, haben wir gar keine andere Wahl, als uns hinter die friedlichen Demonstranten zu stellen. Wir müssen den Menschen zugestehen, sich frei zu entscheiden. Als ich als Menschenrechtsbeauftragter vor ein paar Jahren in Ägypten war, sagte mir ein Journalist: Je länger wir warten mit dem Umbruch, desto stärker werden die Muslimbrüder werden. Und je eher wir zu einer offenen Diskussion in der Gesellschaft kommen, desto weniger Einfluss werden sie haben. Außerdem besteht die Muslimbruderschaft nicht nur aus verkappten Terroristen.

Tut die Bundesregierung genug, um die Demonstranten zu unterstützen?

Wir versuchen zaghaft, die richtigen Akzente zu setzen. Der Kanzlerin ist es sicher nicht leicht gefallen, in Israel nicht auf die Forderung von Benjamin Netanjahu einzugehen, Mubarak zu stützen. Stattdessen hat sie dafür geworben, Verständnis für die legitimen Forderungen der Demonstranten zu haben. Mein Wunsch ist aber, dass wir – und zwar gesamteuropäisch – keinen Zweifel daran lassen, auf welcher Seite wir stehen.

Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen: Wie wichtig ist die Unterstützung durchs Ausland?

Wir haben damals nicht erwartet, dass jemand von außen kommt und alles regelt. Das wollten wir schon gerne alleine machen. Aber dass der Westen das Geschehen 1989 verfolgt hat, war trotzdem extrem wichtig – es war eine Lebensversicherung. Denn dadurch, dass führende Vertreter der Opposition im Westen bekannt waren, konnte sie die DDR nicht mehr einfach verschwinden lassen. Auch den Demonstranten in Kairo hilft es enorm, dass weltweit berichtet wird.

Gibt es eine Rückendeckung durch einen westlichen Politiker, die Ihnen damals besonders Mut gemacht hat?

Natürlich habe ich mich gefreut, dass Helmut Kohl relativ schnell erklärt hat: Wir stehen an der Seite der Demonstranten. Aber man muss sagen, dass viele westliche Staatschefs damals ja sehr skeptisch waren und gerne den Status Quo erhalten wollten. Wir fanden das sehr peinlich, als François Mitterrand am 21. Dezember 1989 den damaligen Ministerpräsidenten Hans Modrow besuchte, als hätte es nie eine friedliche Revolution gegeben. Der Westen hat sich in unseren Augen schon öfter blamiert. Das ist nicht der erste Fall. Die Frage ist: Lernen wir irgendwann daraus?

Und wie sieht die Lehre aus: keinerlei Unterstützung mehr für autokratische Regime?

Der Umgang mit autoritären Regimes ist immer eine Abwägungsfrage. Wir müssen natürlich auch mit diktatorischen Regierungen reden, aber das heißt ja noch nicht, dass wir dabei den Eindruck erwecken müssen, deren Verhalten richtig zu finden. Ich finde gut, wenn wir die Staaten, deren Entwicklung in die richtige Richtung geht, belohnen und die, die sich in die falsche Richtung bewegen, nicht unbeirrt unterstützen und ihnen zum Beispiel weiter Geld geben.

Wird es zu einem Domino-Effekt in der arabischen Welt kommen?

Für uns haben die Geschehnisse in den anderen Ländern des Ostblocks während der ganzen DDR-Zeit eine sehr wichtige Rolle gespielt, besonders in Polen, wo es schon im Juni ’89 quasi freie Parlamentswahlen gab. Zu einem Dominoeffekt kam es aber erst nach dem 9. November – der Mauerfall war einfach ein sehr starkes Symbol. Ich weiß nicht, wie die Entwicklung in der arabischen Welt aussehen wird. Aber klar ist: Wenn Ägypten gut geht, wird das eine hohe Attraktivität entfalten – und für die autoritären Regimes in der Region wird es schwieriger werden. Ägypten ist ja nicht nur das Zentrum der arabischen Welt und eine mehrere Jahrtausende alte Zivilisation, sondern auch heute geopolitisch sehr wichtig.

Günter Nooke (52),

einst Oppositioneller in der DDR, war von 2006 bis 2010 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und ist nun Afrikabeauftragter der Kanzlerin.

Interview: Björn Rosen

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