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Politik: Es ist Wahlkampf, Herr Schröder

Von Stephan-Andreas Casdorff Da sitzt er, schaut ruhig auf das Gewese um ihn herum und verbreitet Zuversicht. Müsste der Kanzler nicht aufspringen, rastlos Stimmen sammeln?

Von Stephan-Andreas Casdorff

Da sitzt er, schaut ruhig auf das Gewese um ihn herum und verbreitet Zuversicht. Müsste der Kanzler nicht aufspringen, rastlos Stimmen sammeln? So wie weiland Bill Clinton, der größte aller Wahlkämpfer, der im ganzen Land herumtourte, um den Leuten den Eindruck zu vermitteln: Ich bin ganz nah bei euch und euren Problemen. Hallo, wach, möchte man rufen, der Wahlkampf hat begonnen!

Hat die SPD, hat es ihr Kanzler nicht gesehen? Edmund Stoiber will jetzt wirklich Gerhard Schröders Amt, und seine Frau ist auch nicht mehr dagegen. Ja, seine Hände zittern: weil er vor Eifer bebt. Der CDU-Parteitag hat es gezeigt, der kommende kleine Parteitag der CSU wird es noch einmal belegen: Talken kann er nicht, aber reden. Und er redet sich heiß.

Schröder wirkt dagegen allzu ruhig. Wo ist das Momentum von 1998, als ihm der Wille aus den Augen sprühte? Wenn er auf seine mediale Wirkung vertrauen sollte, darauf, dass er Stoiber bei den TV-Duellen schon distanzieren werde, wäre das vermessen. Das zeigt wieder der Blick nach Amerika: Wenn Stoiber den Bush gibt und im Fernsehen nicht ganz einbricht, ist das wie ein Sieg. Und verlasse sich keiner darauf, dass Stoiber jeden Satz verläppert.

Es scheint, als sei die Ruhe, die demonstrative „Coolness“, das Produkt schleichender Resignation. Dass es jetzt, vor der Sommerpause, doch nicht mehr gelingt, den Rückstand drastisch zu verringern. Dann wäre die Wahl im September verloren. Und auch der zweite Sieger ist ein Verlierer, Schröder als Vizekanzler unwahrscheinlich. Soll das seine letzte Hoffnung sein: außergewöhnliche Ereignisse und eine große Angst, die die Menschen vor Veränderungen zurückschrecken lässt? Darauf kann niemand bauen.

Einer kämpft für die Sozialdemokratie: Joschka Fischer. Er redet inzwischen, als wolle er dem Kanzler zeigen, wie es geht. Da ist Dynamik drin, sogar linke. Wenn es nun aber schon keine Vision mehr geben kann, dann muss Schröder mindestens ein Projekt bieten, an dem sich festmachen lässt, warum die SPD an der Regierung bleiben soll. So redet übrigens kein Linker, sondern Wolfgang Clement. Immerhin meint schon eine Mehrheit, Schröder sei zwar interessanter, aber nicht kompetenter als Stoiber.

Ein Regierungsprogramm 2002-2006 mit Reformen, die Deutschland verändern könnten: Das klang an, als Florian Gerster zum Sanierer des Arbeitsmarkts bestellt wurde. Jetzt aber kommt die Hartz-Kommission zur Sache, und am liebsten würde die SPD den Aufbruch vertagen. Wo es ernst wird, will sich Schröder so wenig festlegen wie Stoiber. Es eint beide, dass sie um den linken Flügel fürchten. Mit einem Unterschied: Was für den Kandidaten links ist, ist die Mitte. Dort kann er die Wahl gewinnen.

Der Kanzler muss den Aufbruch wagen. Kanzler der Innovation muss er sein, nur das hilft noch. Die Hartz-Kommission weist den Weg. Nichts nutzt es ihm, dass im April rund 400000 Menschen weniger arbeitslos waren als 1998 zur selben Zeit oder 1,2 Millionen mehr Jobs zur Verfügung stehen als unter Kohl. Denn nichts bleibt so gegenwärtig wie ein gebrochenes Versprechen. Schröder rennt die Zeit davon. Der Hinweis, dass alles seine Zeit braucht, bis es wirkt, beeindruckt nicht. Das Job-Aktiv-Gesetz könnte helfen, wenn es Jobs zu verteilen gäbe; leider gibt es in weiten Teilen Ostdeutschlands nichts zu verteilen.

Schröder wurde vor vier Jahren gewählt als ein Mann der Mitte und der Modernisierung. Jetzt kommt er daher wie ein halber Lafontaine mit halber Kraft. Nach dieser Woche steht fest: Wenn der Kanzler nicht kann, der Kandidat will.

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